Vortragsankündigung zum Demonstrationsrecht
Eine Auffrischung im Versammlungsrecht gefällig?
Gerade bei staatskritischen Protesten kommt es oft zu Konflikten zwischen Demonstrierenden und Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei. Gerade bei Großveranstaltungen fahren Staatsorgane ihren ganzen Apparat auf, wie u. a. die Erfahrungen von Heiligendamm, Castor und Blockupy zeigen.
Umso wichtiger ist es, sich darüber im Klaren zu sein, welche Rechte Demonstrierende haben und welche Handlungen strafbar sind, aber auch, was die Befugnisse und Grenzen staatlicher Repressionstätigkeit sind, welche Verhaltenstipps es dazu gibt und wie man sich dagegen wehren kann.
Vor dem G20-Gipfel in Hamburg wird der AKJ Greifswald bei zwei Veranstaltungen in Greifswald und Rostock über rechtliche Fragen rund um die anstehenden Proteste informieren. Nach einer Einführung sollen die genannten Themen anhand von Beispielen diskutiert werden.
Termine:
- Do, 29. Juni 2017 um 20 Uhr im IKuWo in Greifswald
- Fr, 30. Juni 2017 um 19 Uhr im Peter-Weiss-Haus in Rostock
Lehrstunde zur Versammlungsfreiheit mit der Polizei Vorpommern-Greifswald
Wenn auf der AKJ-Website etwas zu Versammlungen steht, haben in der Regel Leute der Demobeobachtungsgruppe diese begleitet und analysieren danach, inwieweit die Versammlungsfreiheit verletzt wurde. Die Polizei findet uns dann oft zu kritisch, die Presse tut sich manchmal mit unserer juristischen Fachsprache schwer, aber uns geht es eben darum, Menschen für die Rechte der Demonstrierenden zu sensibilisieren. Hier befassen wir uns nun mit einem Geschehen, dass niemand von uns beobachtet hat. Das Interessante ist aber weniger die Demonstration als die rechtliche Lehrstunde zur Versammlungsfreiheit, die die Polizei danach geben wollte. Auch das sehen wir wieder kritisch, und auch hier geht es nicht ganz ohne Jura-Kauderwelsch, aber es scheint uns nötig darauf hinzuweisen, dass Facebookposts der Polizei nicht das Nonplusultra des Versammlungsrechts sind.
Gemeinsam für mehr Privatsphäre!
Heute heißt es: Aktion Datenschmutz! In wenigen Minuten mit einem Auskunftsersuchen dein Recht auf Privatsphäre einfordern.
Dazu passend eine spannender Film heute Abend im KLEX.
In einer digitalisierten Welt sind deine Daten die Ressourcen, mit denen du anderen nicht nur deinen Lieblingsfußballverein und dein Lieblingsessen verrätst. Datenspuren geben auch (oft ungewollt) detailliert Aufschluss über weitere Vorlieben und Gewohnheiten, dein Konsumverhalten, deine Bewegungsabläufe, deine Meinungen und viel mehr noch: deine Schwächen.
Staatliche Repressions- und Überwachungsorgane sowie auch private Unternehmen wie 'Auskunfteien' und Finanzdienstleister haben sich darauf spezialisiert, deine Daten abzufangen und zu sammeln. Es gibt sogar Handelsplätze, wo das gesammelte Wissen über dich verkauft wird. Daten sind zu einer neuen Ware geworden - einem Rohstoff des 21. Jahrhunderts.
Pressemitteilung: Proteste gegen Nazi-Aufmarsch mit einigen Zwischenfällen
Bericht des AKJ Greifswald über die Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch am 8. Mai 2017 in Demmin.
Am Abend des 8. Mai 2017 gingen mehrere hundert Demonstrierende gegen den jährlich stattfindenden Naziaufmarsch auf die Straße. Acht Demobeobachter*innen des AKJ Greifswald dokumentierten, inwieweit das Recht auf Versammlungsfreiheit gewahrt wurde. Ein Stadtspaziergang und verschiedene Mahnwachen waren nur ein Teil der Protestformen. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit 800 Einsatzkräften vor Ort. Dabei kam es an einigen Stellen zu Zwischenfällen.
Gegen 20.10 Uhr setzte die Polizei in der Schulstraße Pfefferspray ein, als Gegendemonstrant*innen versuchten, auf die Demoroute der Nazis zu gelangen. Zudem wurden an mehreren Orten Personen festgehalten und einer Identitätsfeststellung und erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. Anlass war in der Regel der Vorwurf der Vermummung.
Bildaufnahmen von Demonstrierenden
Als sehr problematisch stuft der AKJ Greifswald den stark verbreiteten Einsatz von Videokameras durch die Polizei ein. Gem. §§ 19a, 12a VersammlG ist deren Einsatz nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zulässig. Zu berücksichtigen ist, dass nach der Rechtsprechung schon für das Richten der Kameras auf die Demonstrierenden eine entsprechende Gefahrenlage verlangt wird. Für die Betroffenen ist nicht ersichtlich, ob Aufnahmen getätigt werden oder nicht. Die Beobachtung friedlicher Demonstrierender schreckt diese von der künftigen Inanspruchnahme ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ab und ist daher rechtfertigungsbedürftig. Eine anlasslose Beobachtung ist rechtswidrig. Der Polizei fehlt es anscheinend an Problembewusstsein für diese – gerichtlich bestätigte – Perspektive.
Beispielhaft dafür, dass keine hinreichende Gefahr vorlag, ist etwa die Überwachung einer Gruppe Demonstrierender in der Baustraße. Diese wurde dort um 20.58 Uhr eingekesselt, nachdem sie sich in der Nähe der Demoroute der Nazis bewegt hatte. Sie nahmen schlicht ihr Demonstrationsrecht wahr, zeigten kein aggressives Verhalten und auch im Übrigen gab es keine Anhaltspunkte für etwaige Straftaten. Vielmehr zeigte sich die Gruppe auch nach Einkesselung kooperativ und wurde schließlich zur Mahnwache der Partei Bündnis 90/Die Grünen an der Holstenstraße geleitet. In solchen Situationen ist das Filmen der Demonstrierenden nicht rechtmäßig. Ähnliche Vorkommnisse ereigneten sich in der Heiliggeiststraße, Holstenstraße und an der Südmauer.
Kaum tragfähig waren oftmals die Begründungen, die die Einsatzkräfte für das Filmen nannten. Immerhin wurde teilweise die Sicherung von Beweismitteln genannt, die aber nur verfolgt wird, wenn eine ausreichende Gefahrenlage besteht. Teilweise wurde aber auch behauptet, dass der Kameraeinsatz zum Schutz der Versammlung selbst erfolge. Die Rechtsgrundlage ermächtigt aber nur zum Filmen von Personen von denen eine Gefahr ausgeht, und nicht, wenn diese gefährdet sind. Ein anderer Polizist behauptete, dass es sich um eine öffentliche Versammlung handele und allein diese zum Filmen ermächtige – eine völlige Ignoranz der Gesetzesgrundlage. Weiterhin wurde relativierend angeführt, dass die rechtlich nicht relevanten Aufnahmen ja im Nachhinein gelöscht würden – was jedoch irrelevant ist, weil die Eingriffsqualität ja gerade durch das Aufnehmen selbst begründet wird. Am ehrlichsten war wohl ein Polizist, der auf die Frage nach dem Grund für das Filmen schlicht antwortete, er wisse es nicht. All dies zeigt, dass die Polizei oftmals unhinterfragt Kameras einsetzte und sich zu wenig Gedanken um rechtliche Anforderungen des Filmens und Auswirkungen auf die Demonstrierenden machte.
Zudem erweisen sich zwei Sonderkonstellationen als rechtlich problematisch. So wurden an verschiedenen Orten BFE-Einheiten mit Helmkameras eingesetzt. Auch deren Einsatz unterliegt den gleichen Anforderungen wie das Filmen mit Handkameras. Die Motivation für ihre Verwendung mag in der Eigensicherung der Einsatzkräfte bestehen, jedoch müssen für eine etwaige Gefährdung der Sicherheit entsprechende Anhaltspunkte vorliegen. Schon beim Aufsetzen des Helms ist die Kamera – je nach Blickrichtung – auf eine Vielzahl von Personen gerichtet. In den von uns beobachteten Situationen war eine hinreichende Gefahrenlage nicht ersichtlich.
Weiterhin betreuten zwei Teams von Polizeimitarbeiterinnen den Twitteraccount und wurden dort auch als Anprechpartnerinnen vor Ort vorgestellt. Sie waren in zivil im Einsatz und nahmen an mehreren Orten das Versammlungsgeschehen mit Handykameras auf. Teilweise wurden dort auch Bilder veröffentlicht. Hierbei handelt es sich ebenfalls um polizeiliche Überwachung einer Versammlung, die dem Versammlungsgesetz unterliegt - unabhängig von der Motivationslage der Polizeibehörde. Hinzu kommt, dass Aufnahmen von Einsatzkräften in zivil als verdeckte Aufnahmen zu werten sind, die nur in ganz besonderen Ausnahmesituationen zulässig sind. Denn sonst müssten auch friedliche Demonstrierende hinnehmen, jederzeit beobachtet zu werden. Das Veröffentlichen von Bildern des Stadtspaziergangs, der im Vorfeld der Nazidemo stattfand, ist besonders fragwürdig.
Weitere Beobachtungen
Als unzulässige Maßnahme ist auch anzusehen, dass eine Person nicht als Ordner*in der Attac-Mahnwache an der Nordmauer zugelassen wurde, weil – so die Aussage der Polizei – einschlägige Strafverfahren gegen sie vorlägen. Dabei handelte es sich jedoch nur um ein eingestelltes Verfahren. Die Rechtsprechung verlangt jedoch, dass bei der Überprüfung von Ordner*innen gerade das Ergebnis von Strafverfahren und die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Besonders absurd wird die Ablehnung dadurch, dass die gleiche Person noch kurz zuvor als leitende Person einer Versammlung am Barlachplatz akzeptiert worden war.
Ebenfalls problematisch war die ED-Behandlung einer Demonstrantin in der Holstenstraße. Wegen des Vorwurfs der Vermummung sollten Aufnahmen mit Halstuch vor dem Gesicht gemacht werden. Sie weigerte sich jedoch, das Tuch aufzuziehen. Dazu ist sie auch nicht verpflichtet, sie muss die entsprechenden Polizeimaßnahmen lediglich dulden. Daraufhin wollte ein Polizist ihre Jacke öffnen, um an das Tuch zu kommen. Dies ist als Durchsuchung einer Person anzusehen, die nach dem SOG M-V nur durch Personen des gleichen Geschlechts durchgeführt werden darf. Darauf wurde der Polizist auch mehrfach hingewiesen.
Schließlich beobachteten wir, dass der Zugang zu angemeldeten Mahnwachen zwar an vielen Stellen möglich war, er jedoch mancherorts erschwert oder im späteren Verlauf sogar verweigert wurde.
Pressemitteilung 02.05.2017: Massenhafte Freiheitsentziehungen überschatten Proteste gegen NPD-Aufmarsch in Stralsund
Bericht des AKJ Greifswald über die Proteste gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2017 in Stralsund.
In Stralsund wurde am 1. Mai 2017 einem NPD-Aufmarsch mit über 200 Neonazis mit vielfältigen Protesten begegnet. Diese wurden von sieben Demobeobachter_innen des AKJ begleitet, die in drei Teams in der Stadt unterwegs waren und dokumentierten, inwieweit die Versammlungsfreiheit gewahrt wurde.1
Die Geschehnisse am Neuen Markt
Als besonders gravierend ist die Einkesselung von über 100 Personen im Bereich des Neuen Markts zu werten, die dort über acht Stunden festgehalten wurden. Diese bewegten sich gegen 10:17 Uhr aus der Tribseer Straße kommend auf die Mitte des Platzes zu. Dort war ein Parkverbot gekennzeichnet, das teilweise mit einem Absperrband abgegrenzt war. An dieser Stelle befanden sich ein Wagen der NPD und einige Polizeikräfte. Die Polizei drängte die Demonstrant_innen hinter das Absperrband zu einem Schnellrestaurant, wo die Gruppe schließlich eingekesselt wurde. Gegen 11:46 Uhr erfolgte die Ansage, dass die Gruppe nach einer „Vorkontrolle“ zur angemeldeten Mahnwache gehen dürfe, da der Verdacht auf Verstöße gegen das Versammlungsgesetz bestünde. Uns gegenüber wurde vom Konfliktmanagement der Polizei mitgeteilt, dass es sich dabei um Vermummungen und das Mitsichführen von Regenschirmen als vermeintliche Schutzbewaffnung handele. Gegen 11:50 Uhr bewegte sich aus der eingekesselten Versammlung eine kleinere Gruppe auf die umstellenden Polizeibeamt_innen zu. Dabei kam es zu Rangeleien und es wurde nach übereinstimmenden Berichten von Polizei und Demonstrierenden Pfefferspray eingesetzt. Gegen 12:30 Uhr wurde eines unserer Beobachtungsteams durch das Konfliktmanagement der Polizei in Kenntnis gesetzt, dass geprüft werde, ob es sich um eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz handele oder eine Ansammlung, auf die das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) anzuwenden sei. Um 12:56 Uhr erfolgt die Durchsage, dass die Gruppe wegen unfriedlichen Verhaltens als Ansammlung eingestuft werde. Es werde ein Platzverweis für die gesamte Stadt Stralsund bis 24 Uhr erteilt. In der Folgezeit wurden die umstellten Personen im Bereich der Poststraße durchsucht, erkennungsdienstlich behandelt und bis ca. 18:30 Uhr am gleichen Ort in Gewahrsam gehalten.
Rechtliche Würdigung der Polizeimaßnahmen am Neuen Markt
Diese Maßnahmen erscheinen in mehrfacher Hinsicht als rechtswidrig. Zunächst muss ausdrücklich an den Grundsatz der „Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts“ erinnert werden, der durch die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern leider regelmäßig missachtet wird. Danach sind Maßnahmen nach dem SOG (wie Ingewahrsamnahmen, Durchsuchungen, Identitätsfeststellungen etc.) gegen eine Versammlung nur dann rechtmäßig, wenn diese zuvor ausdrücklich aufgelöst wurde – dies ist jedoch zu keinem Zeitpunkt geschehen. Die Gruppe erfüllte schon beim Ankommen am Neuen Markt alle Eigenschaften einer Versammlung, was zumindest durch das Tragen von Transparenten und das Rufen von Sprechchören auch für die Polizei offensichtlich sein musste. Alle von der Polizei genannten Gründe für Maßnahmen gegen die Gruppe sind schon deshalb unzureichend, weil selbst bei der Begehung von Straftaten sich Maßnahmen nur gegen Einzelpersonen richten dürfen, die diese begangen haben sollen, nicht jedoch gegen die gesamte Versammlung. Und auch angeblich unfriedliche Versammlungen genießen zwar nicht den Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, das Versammlungsgesetz ist aber dennoch auf sie anzuwenden.
Zudem erwiesen sich auch die einzeln genannten Gründe für die Polizeimaßnahmen als nicht tragfähig. Dass das Verhalten der Gruppe beim Erreichen des Marktes einen Blockadeversuch dargestellt haben soll – wie es die Polizei in ihrer Pressemitteilung behauptet - ist abwegig. Der Neue Markt wurde knapp drei Stunden vor Beginn der Zwischenkundgebung betreten, weshalb eine angebliche Blockade schon aufgrund des zeitlichen Abstandes fernliegend ist. Noch dazu war nur ein Bereich mit Absperrband gekennzeichnet (das an mobil aufgestellten Parkverbot-Schildern befestigt war), wodurch man durchaus vermuten konnte, wo die Kundgebung stattfinden würde, eine abschließende Festlegung aber – auch aufgrund der Weite des Platzes – nicht ersichtlich war. Desweiteren zeigte die Gruppe kein Verhalten, das auf eine Blockade hingewiesen hätte. So wurde sich insbesondere nicht hingesetzt, weshalb die wenigen Polizeikräfte vor Ort die Gruppe auch in kurzer Zeit hinter die Absperrung drängen konnten. Dies wäre bei einer angestrebten Blockade so nicht möglich gewesen.
Auch die im Polizeibericht erwähnten festgestellten Vermummungen können als solche schon nicht zu einer Unfriedlichkeit der Versammlung führen, da es sich um rein passives Verhalten handelt, eine Versammlung aber nur bei physisch gewalttätigem Verhalten als unfriedlich anzusehen ist. Regenschirme können als Alltagsgegenstände (wie zahlreiche andere Dinge, ob Zeitung oder Plastiktüte) nicht als Passivbewaffnung eingeordnet werden, sondern nur bei konkretem Einsatz als solcher. Dies war aber bis zur Ankündigung der „Vorkontrolle“ nicht ersichtlich.
Selbst wenn die oben beschriebene Rangelei – die ca. 1,5 Stunden nach Beginn der Kesselung stattfand – von der Polizei als Straftat gewertet wurde, so rechtfertigt dies allenfalls ein Vorgehen ausschließlich gegen die Personen, die daran teilgenommen haben sollen. Denn daran war nur ein kleiner Teil der Gruppe beteiligt. Die Unfriedlichkeit von Teilen einer Versammlung rechtfertigt aber nur ein Vorgehen gegen diese und nicht gegen die gesamte Versammlung.
Im Übrigen ist das Erteilen von Aufenthaltsverboten unter diesen Umständen offenkundig rechtswidrig. Schon vor knapp zwei Jahren wurde eine solche Maßnahme vom Polizeipräsidium als rechtswidrig anerkannt, was auch gerichtlich bestätigt wurde. Dass dies allein schon angedroht und anscheinend sogar in Betracht gezogen wurde, spricht entweder für eine Geringschätzung des Rechts oder aber dafür, dass hier mit Nachdruck ein Grund gesucht wurde, um eine nicht erwünschte Gruppe an der Ausübung ihrer Demonstrationsfreiheit zu hindern.
Insbesondere in Bezug auf die stundenlange Freiheitsentziehung ist zu betonen, dass diese eine gravierende Beeinträchtigung der Grundrechte der Betroffenen darstellte. Hinzu kommen Berichte Betroffener über erst spät ermöglichte Verpflegung und eingeschränkte Zugänglichkeit von Toiletten, die bei langer Dauer der Einkesselung gewährleistet sein müssen. Auch die im Polizeibericht erwähnten verbotenen Gegenstände rechtfertigen nicht, dass eine so große Versammlung über einen derart langen Zeitraum festgehalten wird.
Weitere Vorkommnisse
Auch einige weitere Maßnahmen sind kritisch zu beurteilen. So wurde die Mahnwache an der Volkshochschule/Friedrich-Engels-Straße beim Vorbeiziehen des Naziaufmarsches um 17:28 Uhr gefilmt, was nur bei einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig ist. Ein hinreichender Anlass war zu dem Zeitpunkt jedoch nicht ersichtlich.
Gegen 17:00 Uhr kam es weiterhin auf der Straße An den Bleichen/Ecke Carl-von-Essen-Straße zu einem Blockadeversuch. Zwei Personen saßen auf der Demonstrationsroute, während zwei weitere direkt hinter ihnen standen. Die nach kürzester Zeit eingreifenden BFE-Einheiten missachteten auch hier das oben beschriebene Gebot, Versammlungen vor Zwangsmaßnahmen unmissverständlich aufzulösen, und drängten bzw. entfernten die Personen von der Straße. Immerhin wurde zumindest der letzten Person, die fortbewegt wurde, das beabsichtigte Vorgehen kommuniziert. Der leitende Polizist bewegte zudem den durchführenden Kollegen dazu, seinen Griff aus dem Gesicht der wegzutragenden Person zu nehmen, um damit das Verhältnismäßigkeitsgebot zu berücksichtigen.
Wie bei vielen anderen Versammlungen fiel in mehreren anderen Situationen auf, dass die Polizei oft körperlich gegen Demonstrierende vorging (umgangssprachlich „Schubsen“ oder im Polizeivokabular „einfache körperliche Gewalt“), ohne zuvor zu kommunizieren, was von ihnen verlangt wird. Dieses Vorgehen ist nicht nur im Hinblick auf die bei Vollstreckungsmaßnahmen erforderliche Androhung problematisch, sondern auch unnötig eskalierend.
Massiver Polizeieinsatz behindert Proteste gegen Naziaufmarsch in Demmin - Bericht der AKJ-Demobeobachtung zum 08.05.2016
Durch ein massives Polizeiaufgebot wurde am 8. Mai 2016 der von der NPD angemeldete Aufmarsch durch Demmin durchgesetzt. Die Proteste dagegen wurden zwar mit weniger Gewalt eingeschränkt als in den Vorjahren. Dennoch kam es an mehreren Stellen zu Polizeieinsätzen, die als Grundrechtsverletzungen zu werten sind. So wurde die Gegendemonstration unzulässig überwacht, Pressearbeit behindert und übermäßig gewaltsam gegen Protestierende vorgegangen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei ist kritikwürdig.
Der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen Greifswald (AKJ) begleitete wie bereits in den vergangenen Jahren die Proteste gegen den NPD-Aufmarsch in Demmin am 08. Mai 2016.1 In diesem Jahr war der AKJ mit einem aus 3 Demobeobachter*innen bestehenden Team vor Ort. Dieses arbeitete mit der Internationalen Demobebachtung zusammen, die mit 7 Demobeobachter*innen anwesend waren.
Freiheitsbeschränkungen von Beginn an
Die Gegenproteste starteten mit zwei Demonstrationen, die jeweils um 17 Uhr beginnen sollten. Am Demminer Bahnhof versammelten sich ca. 300 Personen zu einer antifaschistischen Demonstration, die von dort durch die Innenstadt ziehen sollte. Der Beginn der Demonstration verzögerte sich jedoch um eine dreiviertel Stunde, da drei Busse mit Demonstrationsteilnehmer*innen an der Stadtgrenze durch Polizeikräfte aufgehalten wurden. In diesen Bussen befanden sich auch Personen, die im Vorfeld als Ordner*innen eingeplant waren. Ein planmäßiger Demonstrationsablauf wurde so durch die Polizei erschwert. Sowohl Kontrollstellen als auch die Anordnung des Ordnereinsatzes sind gemäß § 29 I Nr. 4e) SOG M-V bzw. § 15 I VersammlG unter Einhaltung der dortigen Voraussetzungen zulässig. Die Summe der belastenden Maßnahmen kann aber zu einer Verletzung der Versammlungsfreiheit führen. In diesem Fall wurde diese Grenze jedoch noch nicht überschritten. Eine Vielzahl solcher Beeinträchtigungen führt dennoch zu einer Aushöhlung der grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit. Immerhin bleibt festzuhalten, dass – im Gegensatz zu vorigen Jahren oder der Demonstration in Schwerin am 01. Mai 2016 – keine übermäßigen Vorfeldmaßnahmen durchgeführt wurden.
Unzulässige Überwachung
Kurz nach Beginn der Versammlung wurde vom Internationalen Demobeobachtungsteam berichtet, dass am Rande des Aufzug von einer Person ein sogenannter Hitler-Gruß gezeigt wurde (17.55 Uhr). Dies stellt gemäß § 86a StGB eine Straftat dar. Diese wurde von den anwesenden Polizeikräften, die die Tat auch wahrgenommen hatten, jedoch nicht verfolgt. Bei der Überwachung der antifaschistischen Demonstration gaben sich die eingesetzten Polizeikräfte dagegen mehr Mühe. So filmte die Polizei den Aufzug mittels ausgefahrener Mastkamera an der Demospitze. Dies stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Demonstrierenden dar, für den es einer Ermächtigungsgrundlage bedarf. Ob die Kamera eingeschaltet ist, die Bilder gespeichert oder nur per Kamera-Monitor-Übertragung an die Einsatzzentrale übermittelt werden, ist für die Betroffenen nicht ersichtlich und auch rechtlich nicht von Belang.2 Eine solche Maßnahme kann in M-V allenfalls durch §§ 19a, 12a VersammlG getragen werden. Da jedoch keinerlei Anhaltspunkte für Rechtsverstöße seitens der Demonstrierenden erkennbar waren, ist die Überwachung an dieser Stelle als rechtswidrig einzustufen.
Trotz mittlerweile zahlreicher Gerichtsentscheidungen zu diesem Themenkomplex3 wird diese Praxis, die auch von uns schon seit langem kritisiert wird,4 fortgeführt – möglicherweise so lange, bis Gerichte diesem Vorgehen Einhalt gebieten.
Behinderung der Pressearbeit
Noch stärker in den Fokus der Polizei rückten jedoch Pressevertreter*innen. Schon vor Beginn der Demo mussten mehrere von ihnen ihren Personal- und Presseausweis gegenüber Einsatzkräften der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) M-V vorzeigen (17.35 Uhr). Zudem wurden die Ausweise und die dazugehörigen Personen videografiert. Im weiteren Verlauf – die Demo war mittlerweile an der Kahldenstraße/Ecke Heiliggeiststraße angelangt (18.18 Uhr) – wurde ein Fotograf erneut angehalten. Die BFE forderte ihn auf, seine Aufnahmen vorzuzeigen, weil sich darunter Porträtaufnahmen der Einsatzkräfte befinden könnten, die dann zu löschen wären. Dies verweigerte er jedoch. Daraufhin drohte die Polizei zunächst damit, den Fotografen zur Überprüfung mit auf das Polizeirevier zu nehmen. Dieses Vorgehen sei auch mit einem Bereitschaftsrichter abgesprochen. Nach längeren Diskussionen konnte sich der Mann um 18.39 Uhr ohne weitere Maßnahmen entfernen und die Demo fortgesetzt werden.
Dieses Vorgehen offenbart ein unzureichendes Verständnis von Pressefreiheit seitens der Einsatzkräfte und – falls die polizeiliche Darstellung zutrifft – eine erschreckende Unkenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den beteiligten Richter. Denn schon 1999 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass nicht von der Aufnahme eines Polizeieinsatzes darauf geschlossen werden kann, dass die Bilder rechtswidrig veröffentlicht werden.5 Doch erst diese Veröffentlichung möglicher Porträtaufnahmen wäre gemäß § 23 KUG strafbar. 2012 hat das BVerwG bekräftigt, dass die Polizei zur Wahrung der Pressefreiheit nicht schon die Aufnahmen verhindern darf, sondern in der Regel erst gegen die rechtswidrige Veröffentlichung vorgehen muss.6 Letztes Jahr entschied das Bundesverfassungsgericht zudem, dass das Filmen eines Polizeieinsatzes nicht nur nicht rechtswidrig sei. Vielmehr darf diese das Aufnehmen ihrerseits nicht zum Anlass nehmen, gegen die filmenden Personen vorzugehen.7 Vor diesem Hintergrund erweisen sich alle Maßnahmen gegen die Pressevertreter*innen – von der Identitätsfeststellung bis zur Aufforderung, die gespeicherten Bilder zu kontrollieren – als rechtswidrig. Das wird auch nicht dadurch beseitigt, dass gegen den Fotografen nach Aussage der Polizei ein Strafverfahren laufe. Allenfalls unzulässige Bildveröffentlichungen in der Vergangenheit könnten die Maßnahmen rechtfertigen – diese wurden jedoch nicht einmal von der Polizei behauptet.
Aggressives Auftreten im gesamten Stadtgebiet
Um 18.53 Uhr hielt die Demonstration zu einer Zwischenkundgebung an der Frauenstraße/Ecke Marienstraße. Von dort aus entfernten sich mehrere Gruppen über den Marienhain, wurden jedoch am Barlach-Platz von Polizeikräften gestoppt und abgedrängt. In der Folge versuchten zahlreiche Kleingruppen, in Richtung der NPD-Route vorzustoßen. Dabei wurden sie aber mit unmittelbarem Zwang von Polizeikräften gestoppt. Die AKJ-Demobeobachtung konnte keine Ausschreitungen der Demonstrierenden beobachten. Die Beamt*innen agierten ab diesem Moment an vielen Stellen im Stadtgebiet mit überzogener Härte.
So wurde eine größere Gruppe am Hafen am Speicher gegen 20.45 Uhr zurückgedrängt, obwohl hierzu kein Anlass bestand. Denn zwischen ihr und der NPD-Demo, die in etwa 100 Metern Entfernung ihre Zwischenkundgebung abhielt, befanden sich zahlreiche Polizeiwagen, Hamburger Gitter und eine Hundestaffel. Eine Gefahrenlage bestand nicht, somit stellen die Maßnahmen gegen die Demonstrierenden eine reine Machtdemonstration dar. Hinzu kam das Fehlverhalten einzelner Polizeikräfte. So provozierte ein niedersächsischer Polizist (Einheit laut Kennzeichnung auf Rücken: NI 7343, dazu zwei gelbe Kreise) zunächst verbal, indem er sich etwa über das Aussehen der Demonstrierenden lustig machte. Als es später zu einem Gedränge kam, schlug er einer Person zweimal mit der Faust ins Gesicht (20.57 Uhr). Dies zeigt, dass zumindest einzelne Einsatzkräfte offensichtlich körperliche Auseinandersetzungen suchten. Innerhalb der Einheiten existieren keine Kontrollmechanismen, um dies zu verhindern und eine unabhängige Kontrollinstitution für polizeiliches Handeln wird politisch weiterhin verhindert.
Auch von anderen Orten wurde uns von ähnlichen Situationen und einer aggressiven Grundstimmung der Polizei berichtet.
Irreführung statt Bürgernähe: Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei
Aufgrund der unübersichtlichen Lage blieben jedoch viele Situationen außerhalb des Blickfeldes des Demobeobachtungsteams:
Von mehreren Zeug*innen wurde darüber berichtet, dass bei der Räumung einer kleinen Blockade auf der Höhe Luisentor bei der Mahnwache der Grünen eine Demonstrantin gegen eine Mauer gestoßen und dadurch verletzt wurde. Die Polizei verbreitete jedoch über Twitter die Information, die Person habe sich ohne Polizeieinwirkung verletzt.8 Mehrere Zeug*innen, die uns davon glaubwürdig berichteten, widersprachen jedoch vehement dieser Darstellung. Auch in den Medien wird die Polizeidarstellung als „schlicht und ergreifend falsch“ bezeichnet.9 Zunächst ist es ohnehin schon fraglich, inwieweit es überhaupt zur Aufgabe der Polizei gehört, sich via Twitter zu Demonstrationsabläufen zu äußern.10 Wenn denn auch noch Falschangaben verbreitet werden, führt das zu einem erhöhten Misstrauen der Betroffenen gegen die Staatsgewalt und bewirkt damit genau das Gegenteil dessen, was (richtige) Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen bewirken soll. Wenn reale Geschehnisse nicht bloß relativiert, sondern gar dementiert werden, ist dies eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig.
Ebenfalls tendenziös ist die Pressemitteilung der Polizei.11 Zum einen werden dort unvollständige Angaben über die soeben bezeichneten Geschehnisse gemacht. Zum anderen wird dort angekündigt, den Musiker*innen, die sich nicht von der Naziroute entfernten, drohe ein Verfahren wegen „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz“. Dass es sich dabei allenfalls um eine Ordnungswidrigkeit wegen Nichtentfernens von einer aufgelösten Demonstration gem. § 29 I Nr. 2 VersammlG handeln kann, wird nicht erwähnt. Vielmehr wird suggeriert, es handele sich um ein Strafverfahren – da der Naziaufmarsch an den Musiker*innen vorbeigeleitet werden konnte, ist die oft bei Blockaden ins Feld geführte Strafnorm des § 21 VersammlG offensichtlich nicht einschlägig.12
AKJ Greifswald
Polizei erkennt an: Aufenthaltsverbot bei Anti-MVgida-Protesten in Stralsund rechtswidrig
Das Polizeipräsidium Neubrandenburg hat die VG Greifswald, Urt. v. 18.06.2015 - 2 A 122.15, welches einem Gegendemonstranten im Januar bei Protesten gegen einen MVgida-Aufmarsch erteilt wurde. Damals zeigten zahlreiche Menschen in Stralsund ihre Ablehnung gegen die rechte Gruppierung. Polizeikräfte setzten dabei einen Teil der Gegendemonstrant_innen fest und erteilte ihnen ein Aufenthaltsverbot für die Stadt Stralsund. Dagegen klagte ein Mitglied des AKJ Greifswald vor dem Verwaltungsgericht.
Der Kläger hatte u.a. gerügt, dass die Versammlung, an der er teilnahm, nicht ordnungsgemäß aufgelöst wurde. Außerdem hätten die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot, welches zudem noch unverhältnismäßig gewesen sei, nicht vorgelegen. Dies alles sind Punkte, die der AKJ schon des öfteren im Anschluss an Versammlungen gegen rechte Aktivitäten in M-V kritisiert hatte. So gingen bei Protesten gegen den Naziaufmarsch in Demmin am 8. Mai 2014 Polizeikräfte brachial gegen Demonstrierende vor, ohne deren Versammlungen vorher aufzulösen. „Daran zeigt sich eine Verkennung des grundrechtlichen Schutzes legitimer Protestformen durch die Polizei“, so eine Sprecherin des AKJ. Und schon ein Jahr zuvor hatte der AKJ kritisiert, dass es unzulässig sei, Gegendemonstrant_innen ein Aufenthaltsverbot für eine gesamte Stadt zu erteilen.
„Immer wieder müssen wir bei Demonstrationsbeobachtungen feststellen, dass die Polizei zu unverhältnismäßigen Maßnahmen greift“, bedauert der AKJ. Betroffene scheuten sich aber oft, dagegen gerichtlich vorzugehen. Zwar ist der Weg vor die Gerichte häufig erfolgversprechend, doch kommt die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen für das eigentliche Anliegen zu spät. Dass die Polizei nun die Rechtswidrigkeit ihres Handelns im Angesicht einer Klage kurzerhand eingestand, lässt gerade im Hinblick auf die anstehenden Proteste gegen Naziaufmärsche in Demmin am 8. Mai 2015 hoffen, dass die Polizei künftig die Rechte von Gegendemonstrant_innen beachtet. Notfalls müsse aber weiterhin vor Gericht auf die Einhaltung der Versammlungsfreiheit gedrängt werden, so der AKJ abschließend.
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