Infoveranstaltung mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Donnerstag, 07.12.2017, 20 Uhr im Ikuwo

Vor knapp 12 Jahren wurde Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt. Obwohl er an Händen und Füßen fixiert war und noch weitere Indizien dagegen sprachen, gingen die Ermittlungsbehörden von Beginn an davon aus, er habe sich selbst angezündet. Jahrelange Verfahren gegen Polizeikräfte wurden fehlerhaft geführt, eine Mischung aus Vertuschungen und Nachlässigkeiten sorgte dafür, das nur ein Polizist wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh versucht seit vielen Jahren, die Vorgänge im Januar 2005 aufzuklären und die Verantwortlichen zu benennen. Sie ließ die Brandsituation von Sachverständigen untersuchen, die sich gegen die Selbstanzündungsthese aussprachen. Nur dank zivilgesellschftlicher Aufmerksamkeit ist noch nicht Ruhe in den Fall eingekehrt. Als die Staatsanwaltschaft Dessau dieses Jahr in Folge der Brandgutachten von einem Tötungsdelikt ausging, wurden ihr die Ermittlungen entzogen und an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben, die kurzerhand für eine Einstellung sorgt.

Das zeigt: Aufklärung und Protest sind weiterhin notwendig!

07.12.2017, 20 Uhr im Ikuwo (Goethestraße 1)

Massiver Polizeieinsatz behindert Proteste gegen Naziaufmarsch in Demmin - Bericht der AKJ-Demobeobachtung zum 08.05.2016

Durch ein massives Polizeiaufgebot wurde am 8. Mai 2016 der von der NPD angemeldete Aufmarsch durch Demmin durchgesetzt. Die Proteste dagegen wurden zwar mit weniger Gewalt eingeschränkt als in den Vorjahren. Dennoch kam es an mehreren Stellen zu Polizeieinsätzen, die als Grundrechtsverletzungen zu werten sind. So wurde die Gegendemonstration unzulässig überwacht, Pressearbeit behindert und übermäßig gewaltsam gegen Protestierende vorgegangen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei ist kritikwürdig.

Der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen Greifswald (AKJ) begleitete wie bereits in den vergangenen Jahren die Proteste gegen den NPD-Aufmarsch in Demmin am 08. Mai 2016.1 In diesem Jahr war der AKJ mit einem aus 3 Demobeobachter*innen bestehenden Team vor Ort. Dieses arbeitete mit der Internationalen Demobebachtung zusammen, die mit 7 Demobeobachter*innen anwesend waren.

Freiheitsbeschränkungen von Beginn an

Die Gegenproteste starteten mit zwei Demonstrationen, die jeweils um 17 Uhr beginnen sollten. Am Demminer Bahnhof versammelten sich ca. 300 Personen zu einer antifaschistischen Demonstration, die von dort durch die Innenstadt ziehen sollte. Der Beginn der Demonstration verzögerte sich jedoch um eine dreiviertel Stunde, da drei Busse mit Demonstrationsteilnehmer*innen an der Stadtgrenze durch Polizeikräfte aufgehalten wurden. In diesen Bussen befanden sich auch Personen, die im Vorfeld als Ordner*innen eingeplant waren. Ein planmäßiger Demonstrationsablauf wurde so durch die Polizei erschwert. Sowohl Kontrollstellen als auch die Anordnung des Ordnereinsatzes sind gemäß § 29 I Nr. 4e) SOG M-V bzw. § 15 I VersammlG unter Einhaltung der dortigen Voraussetzungen zulässig. Die Summe der belastenden Maßnahmen kann aber zu einer Verletzung der Versammlungsfreiheit führen. In diesem Fall wurde diese Grenze jedoch noch nicht überschritten. Eine Vielzahl solcher Beeinträchtigungen führt dennoch zu einer Aushöhlung der grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit. Immerhin bleibt festzuhalten, dass – im Gegensatz zu vorigen Jahren oder der Demonstration in Schwerin am 01. Mai 2016 – keine übermäßigen Vorfeldmaßnahmen durchgeführt wurden.

Unzulässige Überwachung

Kurz nach Beginn der Versammlung wurde vom Internationalen Demobeobachtungsteam berichtet, dass am Rande des Aufzug von einer Person ein sogenannter Hitler-Gruß gezeigt wurde (17.55 Uhr). Dies stellt gemäß § 86a StGB eine Straftat dar. Diese wurde von den anwesenden Polizeikräften, die die Tat auch wahrgenommen hatten, jedoch nicht verfolgt. Bei der Überwachung der antifaschistischen Demonstration gaben sich die eingesetzten Polizeikräfte dagegen mehr Mühe. So filmte die Polizei den Aufzug mittels ausgefahrener Mastkamera an der Demospitze. Dies stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Demonstrierenden dar, für den es einer Ermächtigungsgrundlage bedarf. Ob die Kamera eingeschaltet ist, die Bilder gespeichert oder nur per Kamera-Monitor-Übertragung an die Einsatzzentrale übermittelt werden, ist für die Betroffenen nicht ersichtlich und auch rechtlich nicht von Belang.2 Eine solche Maßnahme kann in M-V allenfalls durch §§ 19a, 12a VersammlG getragen werden. Da jedoch keinerlei Anhaltspunkte für Rechtsverstöße seitens der Demonstrierenden erkennbar waren, ist die Überwachung an dieser Stelle als rechtswidrig einzustufen.

Trotz mittlerweile zahlreicher Gerichtsentscheidungen zu diesem Themenkomplex3 wird diese Praxis, die auch von uns schon seit langem kritisiert wird,4 fortgeführt – möglicherweise so lange, bis Gerichte diesem Vorgehen Einhalt gebieten.

Behinderung der Pressearbeit

Noch stärker in den Fokus der Polizei rückten jedoch Pressevertreter*innen. Schon vor Beginn der Demo mussten mehrere von ihnen ihren Personal- und Presseausweis gegenüber Einsatzkräften der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) M-V vorzeigen (17.35 Uhr). Zudem wurden die Ausweise und die dazugehörigen Personen videografiert. Im weiteren Verlauf – die Demo war mittlerweile an der Kahldenstraße/Ecke Heiliggeiststraße angelangt (18.18 Uhr) – wurde ein Fotograf erneut angehalten. Die BFE forderte ihn auf, seine Aufnahmen vorzuzeigen, weil sich darunter Porträtaufnahmen der Einsatzkräfte befinden könnten, die dann zu löschen wären. Dies verweigerte er jedoch. Daraufhin drohte die Polizei zunächst damit, den Fotografen zur Überprüfung mit auf das Polizeirevier zu nehmen. Dieses Vorgehen sei auch mit einem Bereitschaftsrichter abgesprochen. Nach längeren Diskussionen konnte sich der Mann um 18.39 Uhr ohne weitere Maßnahmen entfernen und die Demo fortgesetzt werden. Dieses Vorgehen offenbart ein unzureichendes Verständnis von Pressefreiheit seitens der Einsatzkräfte und – falls die polizeiliche Darstellung zutrifft – eine erschreckende Unkenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den beteiligten Richter. Denn schon 1999 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass nicht von der Aufnahme eines Polizeieinsatzes darauf geschlossen werden kann, dass die Bilder rechtswidrig veröffentlicht werden.5 Doch erst diese Veröffentlichung möglicher Porträtaufnahmen wäre gemäß § 23 KUG strafbar. 2012 hat das BVerwG bekräftigt, dass die Polizei zur Wahrung der Pressefreiheit nicht schon die Aufnahmen verhindern darf, sondern in der Regel erst gegen die rechtswidrige Veröffentlichung vorgehen muss.6 Letztes Jahr entschied das Bundesverfassungsgericht zudem, dass das Filmen eines Polizeieinsatzes nicht nur nicht rechtswidrig sei. Vielmehr darf diese das Aufnehmen ihrerseits nicht zum Anlass nehmen, gegen die filmenden Personen vorzugehen.7 Vor diesem Hintergrund erweisen sich alle Maßnahmen gegen die Pressevertreter*innen – von der Identitätsfeststellung bis zur Aufforderung, die gespeicherten Bilder zu kontrollieren – als rechtswidrig. Das wird auch nicht dadurch beseitigt, dass gegen den Fotografen nach Aussage der Polizei ein Strafverfahren laufe. Allenfalls unzulässige Bildveröffentlichungen in der Vergangenheit könnten die Maßnahmen rechtfertigen – diese wurden jedoch nicht einmal von der Polizei behauptet.

Aggressives Auftreten im gesamten Stadtgebiet

Um 18.53 Uhr hielt die Demonstration zu einer Zwischenkundgebung an der Frauenstraße/Ecke Marienstraße. Von dort aus entfernten sich mehrere Gruppen über den Marienhain, wurden jedoch am Barlach-Platz von Polizeikräften gestoppt und abgedrängt. In der Folge versuchten zahlreiche Kleingruppen, in Richtung der NPD-Route vorzustoßen. Dabei wurden sie aber mit unmittelbarem Zwang von Polizeikräften gestoppt. Die AKJ-Demobeobachtung konnte keine Ausschreitungen der Demonstrierenden beobachten. Die Beamt*innen agierten ab diesem Moment an vielen Stellen im Stadtgebiet mit überzogener Härte.

So wurde eine größere Gruppe am Hafen am Speicher gegen 20.45 Uhr zurückgedrängt, obwohl hierzu kein Anlass bestand. Denn zwischen ihr und der NPD-Demo, die in etwa 100 Metern Entfernung ihre Zwischenkundgebung abhielt, befanden sich zahlreiche Polizeiwagen, Hamburger Gitter und eine Hundestaffel. Eine Gefahrenlage bestand nicht, somit stellen die Maßnahmen gegen die Demonstrierenden eine reine Machtdemonstration dar. Hinzu kam das Fehlverhalten einzelner Polizeikräfte. So provozierte ein niedersächsischer Polizist (Einheit laut Kennzeichnung auf Rücken: NI 7343, dazu zwei gelbe Kreise) zunächst verbal, indem er sich etwa über das Aussehen der Demonstrierenden lustig machte. Als es später zu einem Gedränge kam, schlug er einer Person zweimal mit der Faust ins Gesicht (20.57 Uhr). Dies zeigt, dass zumindest einzelne Einsatzkräfte offensichtlich körperliche Auseinandersetzungen suchten. Innerhalb der Einheiten existieren keine Kontrollmechanismen, um dies zu verhindern und eine unabhängige Kontrollinstitution für polizeiliches Handeln wird politisch weiterhin verhindert.

Auch von anderen Orten wurde uns von ähnlichen Situationen und einer aggressiven Grundstimmung der Polizei berichtet.

Irreführung statt Bürgernähe: Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei

Aufgrund der unübersichtlichen Lage blieben jedoch viele Situationen außerhalb des Blickfeldes des Demobeobachtungsteams:

Von mehreren Zeug*innen wurde darüber berichtet, dass bei der Räumung einer kleinen Blockade auf der Höhe Luisentor bei der Mahnwache der Grünen eine Demonstrantin gegen eine Mauer gestoßen und dadurch verletzt wurde. Die Polizei verbreitete jedoch über Twitter die Information, die Person habe sich ohne Polizeieinwirkung verletzt.8 Mehrere Zeug*innen, die uns davon glaubwürdig berichteten, widersprachen jedoch vehement dieser Darstellung. Auch in den Medien wird die Polizeidarstellung als „schlicht und ergreifend falsch“ bezeichnet.9 Zunächst ist es ohnehin schon fraglich, inwieweit es überhaupt zur Aufgabe der Polizei gehört, sich via Twitter zu Demonstrationsabläufen zu äußern.10 Wenn denn auch noch Falschangaben verbreitet werden, führt das zu einem erhöhten Misstrauen der Betroffenen gegen die Staatsgewalt und bewirkt damit genau das Gegenteil dessen, was (richtige) Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen bewirken soll. Wenn reale Geschehnisse nicht bloß relativiert, sondern gar dementiert werden, ist dies eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig.

Ebenfalls tendenziös ist die Pressemitteilung der Polizei.11 Zum einen werden dort unvollständige Angaben über die soeben bezeichneten Geschehnisse gemacht. Zum anderen wird dort angekündigt, den Musiker*innen, die sich nicht von der Naziroute entfernten, drohe ein Verfahren wegen „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz“. Dass es sich dabei allenfalls um eine Ordnungswidrigkeit wegen Nichtentfernens von einer aufgelösten Demonstration gem. § 29 I Nr. 2 VersammlG handeln kann, wird nicht erwähnt. Vielmehr wird suggeriert, es handele sich um ein Strafverfahren – da der Naziaufmarsch an den Musiker*innen vorbeigeleitet werden konnte, ist die oft bei Blockaden ins Feld geführte Strafnorm des § 21 VersammlG offensichtlich nicht einschlägig.12

AKJ Greifswald

1Zum Selbstverständnis siehe http://recht-kritisch.de/index.php/demobeobachtung/.
2So auch die ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17.02.2009 – 1 BvE 2491/08, Rn. 129ff.
3OVG Lüneburg, Urteil vom 24.09.2015 – 11 LC 215/14; OVG Koblenz, Urteil vom 05.02.2015 – 7 A 10683/14; OVG Münster, Beschluss vom 23.11.2010 – 5 A 2288/09; VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 – 1 K 95.09
4http://recht-kritisch.de/index.php/bunt-friedlich-uberwacht-anti-atom-demo-in-greifswald-am-12-02-2011/
5BVerwG, Urteil vom 14.07.1999 – 6 C 7/98.
6BVerwG, Urteil vom 28.03.2012 – 6 C 12/11.
7BVerfG, Beschluss vom 24.07. 2015 – 1 BvR 2501/13.
8
9http://webmoritz.de/2016/05/09/nachbericht-8-mai-demmin/
10So ist etwa das twittern von Bildern friedlicher Versammlungen (etwa hier:

@GrueneMSE #8mDM nach jetzigem Stand gab es keine verl. Frau nach Polizeieinsatz. Andere gesundheitl. Probleme waren Grund für RTW-Einsatz

— Polizei MSE (@Polizei_MSE) May 8, 2016 "> ) offensichtlich rechtswidrig. Kritisch zum Ganzen etwa Gawlas/Pichl/Röhner, LKRZ 2015, 363.
11http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/108770/3321550
12Vergleiche dazu LG Braunschweig, Beschluss vom 09.09.2015 - 13 Qs 171/15.

 

Demobericht zu den Protesten in Demmin am 8.5.2014

Die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Demmin am 8.5.2014 wurden von massiver Polizeigewalt überschattet. Dabei begannen die Aktionen zunächst überaus friedlich und auch die Polizei agierte deeskalierend. Lediglich Vorkontrollen gegen Protestierende aus anderen Bundesländern ließen erahnen, dass die Polizei die Grundrechte der Gegendemonstrant_innen nicht ausreichend achtet. Nach Beginn des Naziaufmarsches wurde jedoch zunehmend unverhältnismäßige Gewalt gegen die Demonstrierenden eingesetzt. Die versammlungsrechtlichen Vorschriften, die auch Gegenproteste schützen, wurden vollkommen missachtet und einseitig das Versammlungsrecht der Nazis durchgesetzt. Diese Gesamtstrategie der Einsatzkräfte, die eine Abwägung der unterschiedlichen Grundrechtspositionen völlig vermissen ließ, sorgte für eine aufgeheizte Stimmung, die Verletzungen bei den Protestierenden billigend in Kauf nahm. Dass es durch das übermäßig harte Vorgehen von Polizeikräften tatsächlich zu mehreren Verletzten kam, ist die logische Folge daraus. Trauriger Tiefpunkt ist die Festnahme eines Demonstranten, der dabei so brutal angegangen wurde, dass er bewusstlos wurde und ins künstliche Koma versetzt wurde. Sowohl dieser Einzelfall als auch die Gesamtstrategie bedürfen der Aufarbeitung. Die bisherigen Stellungnahmen der Polizei lassen jedoch befürchten, dass mit einer Diffamierung der Gegenproteste versucht wird, das eigene Vorgehen zu rechtfertigen. (1)

Im Einzelnen:

Mi. 16.5.2012, 20 Uhr im Klex - Break the Silence - Infoveranstaltung mit der Initiative Oury Jalloh

![]()Hintergrund: Oury Jalloh starb Anfang 2005 bei einem Brand in einer Dessauer Polizeizelle. Die Polizei behauptete, er habe sich selbst angezündet, obwohl Hände und Füße gefesselt waren. Das Landgericht Dessau sprach zwei Polizeibeamte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge trotz widersprüchlicher Zeugenaussagen frei. Der Freispruch gegen den Dienstgruppenleiter wurde allerdings vom Bundesgerichtshof wegen unzureichender Beweiswürdigung aufgehoben. Zudem wurde die mangelnde Aufklärungsbereitschaft der Polizei beklagt. Seit 2011 wird der Prozess vor dem Landgericht Magdeburg neu aufgerollt.

Die „Initiative Oury Jalloh“ kämpft unter dem Motto Break the Silence für eine Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh. Dabei richtet sie sich insbesondere gegen die Verschleierung der polizeilichen Verantwortlichkeit. Sie wird u.a. über das Konzept der Prozessbeobachtung berichten, über widersprüchliche Polizeiaussagen, unzureichende Gutachten und die Schwierigkeit, ein Gericht zu sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung zu bewegen und die eigenen Erfahrungen mit der Polizei.