Am 1. Mai 2015 war der AKJ mit zwei Demobeobachter*innen in Neubrandenburg.
Ein Bündnis aus verschiedenen regionalen Gruppen hatte zu Gegenprotesten und Blockaden gegen die 1. Mai-Demonstration der NPD aufgerufen. Vor der angekündigten NPD-Demonstration fand eine antikapitalistische und antirassistische Bündnisdemonstration statt.
Die Anreise
Im Vorfeld der Proteste wurden an den Zufahrtsstraßen nach Neubrandenburg Autos und Personen von der Polizei kontrolliert. Es wurden Personalien aufgenommen und Taschen kontrolliert, was sich eventuell auf §§ 57 Nr. 6, 29 I 2 Nr. 4e) SOG M-V stützen lässt. Allerdings mussten vereinzelt auch anreisende Personen ihr komplettes Fahrzeug ausräumen und durchsuchen lassen, was wegen der Schwere des Eingriffs unverhältnismäßig ist.
Alle Personen, die mit der Bahn zu den Gegenprotesten anreisten, wurden bei ihrer Ankunft in Neubrandenburg aufgrund von Auseinandersetzungen in Stralsund in Gewahrsam genommen. Sie wurden umfassend erkennungsdienstlich behandelt, durchsucht, abgefilmt und es wurden Schals, Sonnenbrillen und Fahnen beschlagnahmt. Außerdem wurden die festgehaltenen Personen einzeln fotografiert. Trotz der niedrigen Temperatur von 10C° wurden Schals als Vermummungsgegenstände eingestuft und eingezogen. Dies ist unzulässig, weil Schals als Kleidungsstücke des alltäglichen Lebens nach § 29a VersG nur Vermummungsgegenstände darstellen, wenn die zweckwidrige Verwendungsabsicht klar zutage tritt. (BT-Drs. 11/2834 Seite 11)
Außerdem ist das Filmen von Demonstrationsteilnehmern und Menschen, die zu einer Versammlung wollen, nach §§12a,19a Vers.G nur bei einer erheblichen Gefahr für die Öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig. Da die Personen am Bahnhof friedlich waren und von ihnen auch keine Straftaten zu befürchten waren gab es keinen Anlass der das Filmen gerechtfertigt hätte (BVerfGE openJur 2010, 3098).
Zweifelhaft ist zudem, ob die umfassende erkennungsdienstliche Behandlung gerechtfertigt war. Auf §§ 57 Nr. 6, 29 I 2 Nr. 4e) SOG M-V wird sich diese wohl kaum stützen lassen. Sie kommen allenfalls nach § 163b StPO in Frage, wenn die Anreisenden verdächtigt werden eine Straftat begangen zu haben oder Zeuge zu sein. Aufgrund der Auseinandersetzungen in Stralsund mag dies vielleicht möglich sein (dem AKJ liegen keine näheren Informationen vor). Es darf aber bezweifelt werden, dass die Intensität der erkennungsdienstlichen Behandlung im Hinblick auf den faktisch starken Eingriff in die Versammlungsfreiheit (die antikapitalistische und antirassistische Demonstration fing schon um 10:00 Uhr an und die Maßnahmen der Polizei dauerten bis 12:15) gerechtfertigt war. Außerdem hätten die Betroffenen nach § 163c StPO nach der Maßnahme aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen werden müssen. Als die Personen am Bahnhof nach über 2 Stunden wieder freigelassen wurden, zog die Gruppe zum Demokratiefest in der Innenstadt und fuhr danach wieder nach Hause.
Blockaden der Nazidemo
Nachdem um 12:10 Uhr die antikapitalistische, antirassistische Bündnisdemo vom Veranstalter aufgelöst wurde, gab es eine erste Blockade an der Einsteinstraße/Ecke Juri-Gagarin-Ring. Diese Blockade wurde um 14Uhr ohne Zwischenfälle oder Ausschreitungen geräumt. Um 14:15 Uhr wurde die Demonstration der Neonazis mit über 2 Stunden Verspätung an den Gegendemonstrant*innen vorbei in die Einsteinstraße geführt.
Im Laufe des Tages gab es immer wieder Blockaden, die nicht von der Polizei geräumt wurden oder sich selbständig wieder auflösten. Auch das passierte ohne körperliche Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gegendemonstrant*innen. Die Versammlungsfreiheit der Protestierenden wurde respektiert.
Aufgrund der zahlreichen Blockaden wurde die NPD Demonstration noch in der Einsteinstraße wieder zurück geleitet Richtung Juri-Gagarin-Ring. Von dort aus sollte die Neonazi-Demonstration Richtung Süden laufen. An der Ecke Juri-Gagarin-Ring/Ziolkowskistr bildete sich daraufhin erneut eine Blockade. Dort kam es zu den stärksten Zusammenstößen des Tages zwischen Polizei und Gegendemonstrantinnen, als die Blockade gegen 15:30 Uhr teilweise geräumt wurde. Die Polizei setzte dabei Schlagstöcke ein und verhinderte die Versorgung von verletzten Gegendemonstrantinnen, was nach § 105 SOG-MV unzulässig ist.
Dabei wurden mehrere Personen festgenommen.
Die NPD Demonstration wurde vom Veranstalter um 16:15 Uhr aufgelöst.
Am Bahnhof kam es nach den Protesten zu einer Auseinandersetzung zwischen Neonazis und Gegendemonstrant*innen, woraufhin ein Gegendemonstrant festgenommen wurde.
Alle 8 Gegendemonstrant*innen, die festgenommen wurden, sind schon am selben Abend wieder freigelassen worden.