Massiver Polizeieinsatz behindert Proteste gegen Naziaufmarsch in Demmin - Bericht der AKJ-Demobeobachtung zum 08.05.2016

Durch ein massives Polizeiaufgebot wurde am 8. Mai 2016 der von der NPD angemeldete Aufmarsch durch Demmin durchgesetzt. Die Proteste dagegen wurden zwar mit weniger Gewalt eingeschränkt als in den Vorjahren. Dennoch kam es an mehreren Stellen zu Polizeieinsätzen, die als Grundrechtsverletzungen zu werten sind. So wurde die Gegendemonstration unzulässig überwacht, Pressearbeit behindert und übermäßig gewaltsam gegen Protestierende vorgegangen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei ist kritikwürdig.

Der Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen Greifswald (AKJ) begleitete wie bereits in den vergangenen Jahren die Proteste gegen den NPD-Aufmarsch in Demmin am 08. Mai 2016.1 In diesem Jahr war der AKJ mit einem aus 3 Demobeobachter*innen bestehenden Team vor Ort. Dieses arbeitete mit der Internationalen Demobebachtung zusammen, die mit 7 Demobeobachter*innen anwesend waren.

Freiheitsbeschränkungen von Beginn an

Die Gegenproteste starteten mit zwei Demonstrationen, die jeweils um 17 Uhr beginnen sollten. Am Demminer Bahnhof versammelten sich ca. 300 Personen zu einer antifaschistischen Demonstration, die von dort durch die Innenstadt ziehen sollte. Der Beginn der Demonstration verzögerte sich jedoch um eine dreiviertel Stunde, da drei Busse mit Demonstrationsteilnehmer*innen an der Stadtgrenze durch Polizeikräfte aufgehalten wurden. In diesen Bussen befanden sich auch Personen, die im Vorfeld als Ordner*innen eingeplant waren. Ein planmäßiger Demonstrationsablauf wurde so durch die Polizei erschwert. Sowohl Kontrollstellen als auch die Anordnung des Ordnereinsatzes sind gemäß § 29 I Nr. 4e) SOG M-V bzw. § 15 I VersammlG unter Einhaltung der dortigen Voraussetzungen zulässig. Die Summe der belastenden Maßnahmen kann aber zu einer Verletzung der Versammlungsfreiheit führen. In diesem Fall wurde diese Grenze jedoch noch nicht überschritten. Eine Vielzahl solcher Beeinträchtigungen führt dennoch zu einer Aushöhlung der grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit. Immerhin bleibt festzuhalten, dass – im Gegensatz zu vorigen Jahren oder der Demonstration in Schwerin am 01. Mai 2016 – keine übermäßigen Vorfeldmaßnahmen durchgeführt wurden.

Unzulässige Überwachung

Kurz nach Beginn der Versammlung wurde vom Internationalen Demobeobachtungsteam berichtet, dass am Rande des Aufzug von einer Person ein sogenannter Hitler-Gruß gezeigt wurde (17.55 Uhr). Dies stellt gemäß § 86a StGB eine Straftat dar. Diese wurde von den anwesenden Polizeikräften, die die Tat auch wahrgenommen hatten, jedoch nicht verfolgt. Bei der Überwachung der antifaschistischen Demonstration gaben sich die eingesetzten Polizeikräfte dagegen mehr Mühe. So filmte die Polizei den Aufzug mittels ausgefahrener Mastkamera an der Demospitze. Dies stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Demonstrierenden dar, für den es einer Ermächtigungsgrundlage bedarf. Ob die Kamera eingeschaltet ist, die Bilder gespeichert oder nur per Kamera-Monitor-Übertragung an die Einsatzzentrale übermittelt werden, ist für die Betroffenen nicht ersichtlich und auch rechtlich nicht von Belang.2 Eine solche Maßnahme kann in M-V allenfalls durch §§ 19a, 12a VersammlG getragen werden. Da jedoch keinerlei Anhaltspunkte für Rechtsverstöße seitens der Demonstrierenden erkennbar waren, ist die Überwachung an dieser Stelle als rechtswidrig einzustufen.

Trotz mittlerweile zahlreicher Gerichtsentscheidungen zu diesem Themenkomplex3 wird diese Praxis, die auch von uns schon seit langem kritisiert wird,4 fortgeführt – möglicherweise so lange, bis Gerichte diesem Vorgehen Einhalt gebieten.

Behinderung der Pressearbeit

Noch stärker in den Fokus der Polizei rückten jedoch Pressevertreter*innen. Schon vor Beginn der Demo mussten mehrere von ihnen ihren Personal- und Presseausweis gegenüber Einsatzkräften der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) M-V vorzeigen (17.35 Uhr). Zudem wurden die Ausweise und die dazugehörigen Personen videografiert. Im weiteren Verlauf – die Demo war mittlerweile an der Kahldenstraße/Ecke Heiliggeiststraße angelangt (18.18 Uhr) – wurde ein Fotograf erneut angehalten. Die BFE forderte ihn auf, seine Aufnahmen vorzuzeigen, weil sich darunter Porträtaufnahmen der Einsatzkräfte befinden könnten, die dann zu löschen wären. Dies verweigerte er jedoch. Daraufhin drohte die Polizei zunächst damit, den Fotografen zur Überprüfung mit auf das Polizeirevier zu nehmen. Dieses Vorgehen sei auch mit einem Bereitschaftsrichter abgesprochen. Nach längeren Diskussionen konnte sich der Mann um 18.39 Uhr ohne weitere Maßnahmen entfernen und die Demo fortgesetzt werden. Dieses Vorgehen offenbart ein unzureichendes Verständnis von Pressefreiheit seitens der Einsatzkräfte und – falls die polizeiliche Darstellung zutrifft – eine erschreckende Unkenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den beteiligten Richter. Denn schon 1999 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass nicht von der Aufnahme eines Polizeieinsatzes darauf geschlossen werden kann, dass die Bilder rechtswidrig veröffentlicht werden.5 Doch erst diese Veröffentlichung möglicher Porträtaufnahmen wäre gemäß § 23 KUG strafbar. 2012 hat das BVerwG bekräftigt, dass die Polizei zur Wahrung der Pressefreiheit nicht schon die Aufnahmen verhindern darf, sondern in der Regel erst gegen die rechtswidrige Veröffentlichung vorgehen muss.6 Letztes Jahr entschied das Bundesverfassungsgericht zudem, dass das Filmen eines Polizeieinsatzes nicht nur nicht rechtswidrig sei. Vielmehr darf diese das Aufnehmen ihrerseits nicht zum Anlass nehmen, gegen die filmenden Personen vorzugehen.7 Vor diesem Hintergrund erweisen sich alle Maßnahmen gegen die Pressevertreter*innen – von der Identitätsfeststellung bis zur Aufforderung, die gespeicherten Bilder zu kontrollieren – als rechtswidrig. Das wird auch nicht dadurch beseitigt, dass gegen den Fotografen nach Aussage der Polizei ein Strafverfahren laufe. Allenfalls unzulässige Bildveröffentlichungen in der Vergangenheit könnten die Maßnahmen rechtfertigen – diese wurden jedoch nicht einmal von der Polizei behauptet.

Aggressives Auftreten im gesamten Stadtgebiet

Um 18.53 Uhr hielt die Demonstration zu einer Zwischenkundgebung an der Frauenstraße/Ecke Marienstraße. Von dort aus entfernten sich mehrere Gruppen über den Marienhain, wurden jedoch am Barlach-Platz von Polizeikräften gestoppt und abgedrängt. In der Folge versuchten zahlreiche Kleingruppen, in Richtung der NPD-Route vorzustoßen. Dabei wurden sie aber mit unmittelbarem Zwang von Polizeikräften gestoppt. Die AKJ-Demobeobachtung konnte keine Ausschreitungen der Demonstrierenden beobachten. Die Beamt*innen agierten ab diesem Moment an vielen Stellen im Stadtgebiet mit überzogener Härte.

So wurde eine größere Gruppe am Hafen am Speicher gegen 20.45 Uhr zurückgedrängt, obwohl hierzu kein Anlass bestand. Denn zwischen ihr und der NPD-Demo, die in etwa 100 Metern Entfernung ihre Zwischenkundgebung abhielt, befanden sich zahlreiche Polizeiwagen, Hamburger Gitter und eine Hundestaffel. Eine Gefahrenlage bestand nicht, somit stellen die Maßnahmen gegen die Demonstrierenden eine reine Machtdemonstration dar. Hinzu kam das Fehlverhalten einzelner Polizeikräfte. So provozierte ein niedersächsischer Polizist (Einheit laut Kennzeichnung auf Rücken: NI 7343, dazu zwei gelbe Kreise) zunächst verbal, indem er sich etwa über das Aussehen der Demonstrierenden lustig machte. Als es später zu einem Gedränge kam, schlug er einer Person zweimal mit der Faust ins Gesicht (20.57 Uhr). Dies zeigt, dass zumindest einzelne Einsatzkräfte offensichtlich körperliche Auseinandersetzungen suchten. Innerhalb der Einheiten existieren keine Kontrollmechanismen, um dies zu verhindern und eine unabhängige Kontrollinstitution für polizeiliches Handeln wird politisch weiterhin verhindert.

Auch von anderen Orten wurde uns von ähnlichen Situationen und einer aggressiven Grundstimmung der Polizei berichtet.

Irreführung statt Bürgernähe: Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei

Aufgrund der unübersichtlichen Lage blieben jedoch viele Situationen außerhalb des Blickfeldes des Demobeobachtungsteams:

Von mehreren Zeug*innen wurde darüber berichtet, dass bei der Räumung einer kleinen Blockade auf der Höhe Luisentor bei der Mahnwache der Grünen eine Demonstrantin gegen eine Mauer gestoßen und dadurch verletzt wurde. Die Polizei verbreitete jedoch über Twitter die Information, die Person habe sich ohne Polizeieinwirkung verletzt.8 Mehrere Zeug*innen, die uns davon glaubwürdig berichteten, widersprachen jedoch vehement dieser Darstellung. Auch in den Medien wird die Polizeidarstellung als „schlicht und ergreifend falsch“ bezeichnet.9 Zunächst ist es ohnehin schon fraglich, inwieweit es überhaupt zur Aufgabe der Polizei gehört, sich via Twitter zu Demonstrationsabläufen zu äußern.10 Wenn denn auch noch Falschangaben verbreitet werden, führt das zu einem erhöhten Misstrauen der Betroffenen gegen die Staatsgewalt und bewirkt damit genau das Gegenteil dessen, was (richtige) Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen bewirken soll. Wenn reale Geschehnisse nicht bloß relativiert, sondern gar dementiert werden, ist dies eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig.

Ebenfalls tendenziös ist die Pressemitteilung der Polizei.11 Zum einen werden dort unvollständige Angaben über die soeben bezeichneten Geschehnisse gemacht. Zum anderen wird dort angekündigt, den Musiker*innen, die sich nicht von der Naziroute entfernten, drohe ein Verfahren wegen „Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz“. Dass es sich dabei allenfalls um eine Ordnungswidrigkeit wegen Nichtentfernens von einer aufgelösten Demonstration gem. § 29 I Nr. 2 VersammlG handeln kann, wird nicht erwähnt. Vielmehr wird suggeriert, es handele sich um ein Strafverfahren – da der Naziaufmarsch an den Musiker*innen vorbeigeleitet werden konnte, ist die oft bei Blockaden ins Feld geführte Strafnorm des § 21 VersammlG offensichtlich nicht einschlägig.12

AKJ Greifswald

1Zum Selbstverständnis siehe http://recht-kritisch.de/index.php/demobeobachtung/.
2So auch die ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17.02.2009 – 1 BvE 2491/08, Rn. 129ff.
3OVG Lüneburg, Urteil vom 24.09.2015 – 11 LC 215/14; OVG Koblenz, Urteil vom 05.02.2015 – 7 A 10683/14; OVG Münster, Beschluss vom 23.11.2010 – 5 A 2288/09; VG Berlin, Urteil vom 05.07.2010 – 1 K 95.09
4http://recht-kritisch.de/index.php/bunt-friedlich-uberwacht-anti-atom-demo-in-greifswald-am-12-02-2011/
5BVerwG, Urteil vom 14.07.1999 – 6 C 7/98.
6BVerwG, Urteil vom 28.03.2012 – 6 C 12/11.
7BVerfG, Beschluss vom 24.07. 2015 – 1 BvR 2501/13.
8
9http://webmoritz.de/2016/05/09/nachbericht-8-mai-demmin/
10So ist etwa das twittern von Bildern friedlicher Versammlungen (etwa hier:

@GrueneMSE #8mDM nach jetzigem Stand gab es keine verl. Frau nach Polizeieinsatz. Andere gesundheitl. Probleme waren Grund für RTW-Einsatz

— Polizei MSE (@Polizei_MSE) May 8, 2016 "> ) offensichtlich rechtswidrig. Kritisch zum Ganzen etwa Gawlas/Pichl/Röhner, LKRZ 2015, 363.
11http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/108770/3321550
12Vergleiche dazu LG Braunschweig, Beschluss vom 09.09.2015 - 13 Qs 171/15.

 

Versammlungsrecht-Crashkurs

Die nächsten Wochen werden proppenvoll mit Demos und Aktionen sein. Da ist es angebracht, das eigene Wissen zum Versammlungsrecht noch mal aufzufrischen. Der AKJ wird das in die Hand nehmen und einen thematischen Kurzabriss anbieten:

● Was ist eine Versammlung? ● Was darf ich? Was dürfen wir als Demonstration? ● Was dürfen Polizei und Staatsschutz? ● Wie reagieren bei Verstößen? Was tun bei Repression?

Donnerstag, 05. Mai 2016 IKuWo, 20 Uhr

Polizei erkennt an: Aufenthaltsverbot bei Anti-MVgida-Protesten in Stralsund rechtswidrig

Das Polizeipräsidium Neubrandenburg hat die VG Greifswald, Urt. v. 18.06.2015 - 2 A 122.15, welches einem Gegendemonstranten im Januar bei Protesten gegen einen MVgida-Aufmarsch erteilt wurde. Damals zeigten zahlreiche Menschen in Stralsund ihre Ablehnung gegen die rechte Gruppierung. Polizeikräfte setzten dabei einen Teil der Gegendemonstrant_innen fest und erteilte ihnen ein Aufenthaltsverbot für die Stadt Stralsund. Dagegen klagte ein Mitglied des AKJ Greifswald vor dem Verwaltungsgericht. Der Kläger hatte u.a. gerügt, dass die Versammlung, an der er teilnahm, nicht ordnungsgemäß aufgelöst wurde. Außerdem hätten die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot, welches zudem noch unverhältnismäßig gewesen sei, nicht vorgelegen. Dies alles sind Punkte, die der AKJ schon des öfteren im Anschluss an Versammlungen gegen rechte Aktivitäten in M-V kritisiert hatte. So gingen bei Protesten gegen den Naziaufmarsch in Demmin am 8. Mai 2014 Polizeikräfte brachial gegen Demonstrierende vor, ohne deren Versammlungen vorher aufzulösen. „Daran zeigt sich eine Verkennung des grundrechtlichen Schutzes legitimer Protestformen durch die Polizei“, so eine Sprecherin des AKJ. Und schon ein Jahr zuvor hatte der AKJ kritisiert, dass es unzulässig sei, Gegendemonstrant_innen ein Aufenthaltsverbot für eine gesamte Stadt zu erteilen. „Immer wieder müssen wir bei Demonstrationsbeobachtungen feststellen, dass die Polizei zu unverhältnismäßigen Maßnahmen greift“, bedauert der AKJ. Betroffene scheuten sich aber oft, dagegen gerichtlich vorzugehen. Zwar ist der Weg vor die Gerichte häufig erfolgversprechend, doch kommt die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen für das eigentliche Anliegen zu spät. Dass die Polizei nun die Rechtswidrigkeit ihres Handelns im Angesicht einer Klage kurzerhand eingestand, lässt gerade im Hinblick auf die anstehenden Proteste gegen Naziaufmärsche in Demmin am 8. Mai 2015 hoffen, dass die Polizei künftig die Rechte von Gegendemonstrant_innen beachtet. Notfalls müsse aber weiterhin vor Gericht auf die Einhaltung der Versammlungsfreiheit gedrängt werden, so der AKJ abschließend. ![Bildbeschreibung](vggreifswald,urt.v.18.06.2015-2a122.15(2).png) ![Bildbeschreibung](vggreifswald,urt.v.18.06.2015-2a122.15(3).png) ![Bildbeschreibung](vggreifswald,urt.v.18.06.2015-2a122.15(4).png)

Demobeobachtung | 1. Mai Neubrandenburg

Am 1. Mai 2015 war der AKJ mit zwei Demobeobachter*innen in Neubrandenburg.

Ein Bündnis aus verschiedenen regionalen Gruppen hatte zu Gegenprotesten und Blockaden gegen die 1. Mai-Demonstration der NPD aufgerufen. Vor der angekündigten NPD-Demonstration fand eine antikapitalistische und antirassistische Bündnisdemonstration statt. Die Anreise Im Vorfeld der Proteste wurden an den Zufahrtsstraßen nach Neubrandenburg Autos und Personen von der Polizei kontrolliert. Es wurden Personalien aufgenommen und Taschen kontrolliert, was sich eventuell auf §§ 57 Nr. 6, 29 I 2 Nr. 4e) SOG M-V stützen lässt. Allerdings mussten vereinzelt auch anreisende Personen ihr komplettes Fahrzeug ausräumen und durchsuchen lassen, was wegen der Schwere des Eingriffs unverhältnismäßig ist.

Alle Personen, die mit der Bahn zu den Gegenprotesten anreisten, wurden bei ihrer Ankunft in Neubrandenburg aufgrund von Auseinandersetzungen in Stralsund in Gewahrsam genommen. Sie wurden umfassend erkennungsdienstlich behandelt, durchsucht, abgefilmt und es wurden Schals, Sonnenbrillen und Fahnen beschlagnahmt. Außerdem wurden die festgehaltenen Personen einzeln fotografiert. Trotz der niedrigen Temperatur von 10C° wurden Schals als Vermummungsgegenstände eingestuft und eingezogen. Dies ist unzulässig, weil Schals als Kleidungsstücke des alltäglichen Lebens nach § 29a VersG nur Vermummungsgegenstände darstellen, wenn die zweckwidrige Verwendungsabsicht klar zutage tritt. (BT-Drs. 11/2834 Seite 11)

Außerdem ist das Filmen von Demonstrationsteilnehmern und Menschen, die zu einer Versammlung wollen, nach §§12a,19a Vers.G nur bei einer erheblichen Gefahr für die Öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig. Da die Personen am Bahnhof friedlich waren und von ihnen auch keine Straftaten zu befürchten waren gab es keinen Anlass der das Filmen gerechtfertigt hätte (BVerfGE openJur 2010, 3098).

Zweifelhaft ist zudem, ob die umfassende erkennungsdienstliche Behandlung gerechtfertigt war. Auf §§ 57 Nr. 6, 29 I 2 Nr. 4e) SOG M-V wird sich diese wohl kaum stützen lassen. Sie kommen allenfalls  nach § 163b StPO in Frage, wenn die Anreisenden verdächtigt werden eine Straftat begangen zu haben oder Zeuge zu sein. Aufgrund der Auseinandersetzungen in Stralsund mag dies vielleicht möglich sein (dem AKJ liegen keine näheren Informationen vor). Es darf aber bezweifelt werden, dass die Intensität der erkennungsdienstlichen Behandlung im Hinblick auf den faktisch starken Eingriff in die Versammlungsfreiheit (die antikapitalistische und antirassistische Demonstration fing schon um 10:00 Uhr an und die Maßnahmen der Polizei dauerten bis 12:15) gerechtfertigt war. Außerdem hätten die Betroffenen nach § 163c StPO nach der Maßnahme aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen werden müssen. Als die Personen am Bahnhof nach über 2 Stunden wieder freigelassen wurden, zog die Gruppe zum Demokratiefest in der Innenstadt und fuhr danach wieder nach Hause.

Blockaden der Nazidemo

Nachdem um 12:10 Uhr die antikapitalistische, antirassistische Bündnisdemo vom Veranstalter aufgelöst wurde, gab es eine erste Blockade an der Einsteinstraße/Ecke Juri-Gagarin-Ring. Diese Blockade wurde um 14Uhr ohne Zwischenfälle oder Ausschreitungen geräumt. Um 14:15 Uhr wurde die Demonstration der Neonazis mit über 2 Stunden Verspätung an den Gegendemonstrant*innen vorbei in die Einsteinstraße geführt.

Im Laufe des Tages gab es immer wieder Blockaden, die nicht von der Polizei geräumt wurden oder sich selbständig wieder auflösten. Auch das passierte ohne körperliche Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Gegendemonstrant*innen. Die Versammlungsfreiheit der Protestierenden wurde respektiert.

Aufgrund der zahlreichen Blockaden wurde die NPD Demonstration noch in der Einsteinstraße wieder zurück geleitet Richtung Juri-Gagarin-Ring. Von dort aus sollte die Neonazi-Demonstration Richtung Süden laufen. An der Ecke Juri-Gagarin-Ring/Ziolkowskistr bildete sich daraufhin erneut eine Blockade. Dort kam es zu den stärksten Zusammenstößen des Tages zwischen Polizei und Gegendemonstrantinnen, als die Blockade gegen 15:30 Uhr teilweise geräumt wurde. Die Polizei setzte dabei Schlagstöcke ein und verhinderte die Versorgung von verletzten Gegendemonstrantinnen, was nach § 105 SOG-MV unzulässig ist.

Dabei wurden mehrere Personen festgenommen.

Die NPD Demonstration wurde vom Veranstalter um 16:15 Uhr aufgelöst.

Am Bahnhof kam es nach den Protesten zu einer Auseinandersetzung zwischen Neonazis und Gegendemonstrant*innen, woraufhin ein Gegendemonstrant festgenommen wurde.

Alle 8 Gegendemonstrant*innen, die festgenommen wurden, sind schon am selben Abend wieder freigelassen worden.

Vorläufiger Bericht zur Räumung der Brinkstraße 16/17

Gestern, am 20.11.2014, fand die Zwangsräumung der Brinkstraße 16/17 statt, die seit 6 Wochen von Hausbesetzer_innen okkupiert wurde. Der Arbeitskreis kritischer Jurist_innen (AKJ) Greifswald war mit sieben Demobeobachter_innen vor Ort. Der vorliegende Bericht ist eine erste vorläufige juristische Bewertung ausgewählter Vorkommnisse und wird zeitnah vervollständigt. *Hinderung an der Mahnwachenteilnahme* Wenige Minuten nach Ankunft der Polizei wurden die Zufahrtswege zur Brink- und Bleichstraße gesperrt. Ankommenden Demonstrierende und Demobeobachter_innen wurde der Zugang zur Mahnwache direkt vor dem Haus verweigert. Die polizeiliche Begründung lautete, dass die Teilnahme an der Mahnwache mit hohen Risiken durch die Baumaßnahmen verbunden sei. Die Teilnahme an der Mahnwache war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht gefährlich, denn zum besagten Zeitpunkt befanden sich noch Besetzer_innen im Gebäude, sodass gar keine Abrissmaßnahmen getroffen hätten werden konnten. Schließlich konnten auch die 50 bereits an der Mahnwache Teilnehmenden über mehr als 6 Stunden direkt vor dem Haus stehen bleiben. Da die Mahnwache für 100 Menschen angemeldet und so vom Ordnungsamt bestätigt war, ist offensichtlich, dass die Polizei hier noch weitere Demonstrierende hätte durchlassen müssen. Auch der Zugang zu einer Demonstration ist durch das Grundgesetz geschützt. Demzufolge beurteilen wir die Hinderung an der Mahnwachenteilnahme als Verstoß gegen das Versammlungsrecht. *Abrissmaßnahmen* Gegen 15.50 Uhr traf der Bagger vor der Brinkstraße 16/17 ein, der erste Abrissmaßnahmen am Haus vornahm. Dabei schien keine ausreichende Kommunikation zwischen den Abrissbeauftragten und der Polizei stattgefunden zu haben. Polizist_innen befanden sich unmittelbar neben der Schuttabladestelle und liefen Gefahr, von Gegenständen getroffen zu werden. Diese Situation spitze sich zu, als im ersten Stock des Gebäudes Fensterscheiben von innen zerschlagen wurden, und Glasscherben untenstehende Polizist_innen knapp verfehlten. Die darauffolgenden Stopp-Rufe der Polizei stützen den Eindruck einer mangelhaften Kommunikation. Die Fehleinschätzung der Situation und Gefährdung eigener Beamt_innen zeigt, dass der Hinderungsgrund, Demonstrant_innen nicht zur Mahnwache zu lassen, von den Beamt_innen selbst nicht Ernst genommen wurde. Die Verlegung der Mahnwache in Richtung Brinkstraße 18 wirkte unüberlegt und unprofessionell: Demonstrierende wurden eingekesselt und von Polizist_innen auf der anderen Seite blockiert. Auf dem Gehweg befindliche Gegenstände wurden zu Gefahrenquellen für Demonstrierende.