Proteste gegen Naziaufmarsch am 8. Mai 2018 in Demmin – „Best of“ der Versammlungsrechtsverstöße durch die Polizei

Pressemitteilung vom 9. Mai 2018

Die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Demmin am 8. Mai 2018 konnten ohne schwerwiegende Auseinandersetzungen mit der Polizei stattfinden. Dennoch kam es zu einer Reihe problematischer und rechtswidriger Polizeiaktionen. Dies ist besonders deshalb kritikwürdig, weil vergleichbare Überschreitungen in letzter Zeit häufig vorkamen und von uns bereits in vergangenen Berichten thematisiert wurden. Wiederholte Gesetzesverstöße dürfen jedoch weder innerhalb der Polizei noch bei Protestierenden zu einem Gewöhnungseffekt führen, sondern lassen Forderungen nach mehr Respekt vor der Versammlungsfreiheit nur umso wichtiger werden.

Am Dienstag, den 08. Mai 2018, protestierten viele hundert Menschen gegen einen jährlich stattfindenden Aufmarsch von Neonazis. Der Arbeitskreis kritischer Jurist_innen Greifswald dokumentierte mit fünf Beobachter_innen, ob das Recht auf Versammlungsfreiheit und weitere Vorgaben des Versammlungsrechts gewahrt wurde.1

Blockade ohne Auflösung geräumt

Gegen 20.01 Uhr setzen sich zwei Personen in der Nähe des Marktplatzes auf die Route des Naziaufmarsches. Sie wurden ohne jede Aufforderung von Polizeikräften von der Straße geräumt. Jedoch wird überwiegend davon ausgegangen, dass Zusammenkünfte schon ab zwei Personen eine Versammlung i.S.v. Art. 8 GG sind und damit der grundrechtlicher Schutz auch für sie greift. Um gegen eine solche Versammlung gefahrenabwehrrechtlich vorzugehen, ist die eindeutige und unmissverständlich geäußerte Auflösung durch die Polizei zwingende Voraussetzung. Deshalb war die Polizeimaßnahme rechtswidrig.2 Weiterhin wurde uns mehrfach und übereinstimmend berichtet, dass es in der Nähe des Bahnhofs zu einem unverhältnismäßigen Gewalteinsatz kam, als eine Demonstrantin in eine eingekesselte Sitzblockade gestoßen wurde. Zu einer rabiaten Anwendung von Gewalt kam es gegen 21 Uhr am Marktplatz, als Polizisten einen Demonstranten aus der Versammlung zerrten. Unabhängig davon, ob die gegen diesen erhobenen Vorwürfe berechtigt sind, wurden durch den Einsatz übermäßig heftig mit körperlicher Gewalt auf den Betroffenen eingewirkt sowie daneben stehende Demonstrierende beeinträchtigt, weshalb die Aktion als unverhältnismäßig einzustufen ist.

Rechtswidriger Einsatz von Zivilpolizist_innen

Auch dieses Mal fiel wieder der rechtswidrige Einsatz von Zivilpolizist_innen auf.3 Der erste Fall betraf das Friedensfest am Hafen, wo sich zu dessen Beginn zwei Zivilpolizist_innen in einem am Zugang zur Versammlung parkenden Auto befanden, welche die ankommenden Versammlungsteilnehmer_innen beobachteten und sich dazu offensichtlich Notizen machten. Wenig später traten um 16.35 Uhr mitten in der Versammlung vier weitere Zivilpolizist_innen in Erscheinung und beobachteten das Versammlungsgeschehen für etwa eine halbe Stunde. Für einen solchen Einsatz ist die materielle Voraussetzung, dass entweder eine Straftat vorliegt, sodass der Einsatz der Strafverfolgung dient, oder dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht, die für die Polizeikräfte von außerhalb der Versammlung nicht ausreichend einsehbar ist, sodass eine Anwesenheit innerhalb der Versammlung notwendig ist. Laut eigenen Angaben der Polizei protestierten die 900 Versammlungsteilnehmer_innen zu diesem Zeitpunkt jedoch friedlich4, womit keine Anhaltspunkte für etwaige Straftaten oder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorlagen. Selbst wenn dies jedoch der Fall gewesen wäre, hätte auch die formelle Anforderung, eine Anmeldung bei der Versammlungsleitung gem. § 12 VersammlG, erfolgen müssen. Da auch dies nicht geschehen ist, war der Einsatz in jeder Hinsicht rechtswidrig. Problematisch erschien weiterhin die Beobachtung durch mehrere zivil gekleidete Beamt_innen während des gesamten Stadtspaziergangs. Diese liefen in geringem Abstand, ca. ein bis zwei Meter, neben dem Demonstrationszug her. Hierbei handelt es sich um eine Grauzone zwischen einer zulässigen Beobachtung von außerhalb und einer unzulässigen Beobachtung des Geschehens von innerhalb der Versammlung. Für die Demonstrierenden war es aufgrund des geringen Abstandes nicht ersichtlich, ob die Polizeikräfte Teil der Versammlung waren oder nicht, was aber für die Wahrung der inneren Versammlungsfreiheit durchaus von Relevanz ist. Darüber hinaus kam es des öfteren zu einem Einsatz von Zivilbeamt_innen an den Orten der Mahnwachen. Ein Beispiel dafür ereignete sich um 21.27 Uhr am August-Bebel-Platz, wobei sich hier der Verdacht aufdrängte, dass dieser der Verfolgung von Straftaten diente. Wie soeben bereits beschrieben, ist es jedoch auch in solchen Fällen die Pflicht der Polizist_innen, sich zuvor bei der Versammlungsleitung anzumelden. Dieser Pflicht kamen die Polizeikräfte an diesem Tag zum wiederholten Mal nicht nach.

Filmen ohne Anlass, Fotos sogar auf Twitter

Zum wiederholten Male war der kritikwürdige Kameraeinsatz durch Polizeikräfte ein Thema. So wurden die Mahnwache Ecke Clara-Zetkin-/Treptower Straße aufgezeichnet, die keinerlei Anlass dazu bot (19.40 Uhr); gleiches geschah an der Mahnwache am Luisentor, dort durch eine Mastkamera auf einem Einsatzwagen aus Schleswig-Holstein (19.47 Uhr); auch an der Mahnwache am Marktplatz wurde unabhängig davon gefilmt, ob die betroffenen Personen dazu Anlass boten (19.55 Uhr). Gefilmt wurden auch alle Menschen, die sich anschließend zum Friedensfest am Hafen begaben (20.28 Uhr). Jedoch ist es versammlungsrechtlich nicht zulässig, Protestteilnehmer_innen, die selbst nach Polizeiangaben zum allergrößten Teil friedlich waren, unter Generalverdacht zu stellen – genau das geschah jedoch durch das durchgehende Filmen der Mahnwachen. Es bedarf nach §§ 12a, 19a VersammlG stets Anhaltspunkte für die konkrete Situation, um einen Kameraeinsatz zu rechtfertigen.5 Die gleichen Voraussetzungen gelten auch für das Veröffentlichen von Fotos der Versammlungen durch die Polizei auf Twitter. Auch wenn diese teilweise sogar positiv konnotiert wurden und gut gemeint sein mögen, hat die Polizei nicht die gleichen Freiheiten wie Privatpersonen oder die Presse, sondern sich an die gerade auf sie bezogenen Vorgaben zu halten. Gerade das Veröffentlichen von Fotos, auf denen Teilnehmende individualisierbar sind, verschärft den Grundrechtseingriff durch die Polizei.6

Umgehung der Kennzeichnungspflicht

Zwar waren Polizeikräfte aus Mecklenburg-Vorpommern und immerhin auch aus Bremen (nicht jedoch aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen) mit individuellen Nummern gekennzeichnet, doch wurde mehrfach festgestellt, dass diese Kennzeichnungen durch polizeiliche Einsatzmittel wie Schlagstöcke und Kabelbinder verdeckt wurden. Da dies schon mehrfach auch medial thematisiert wurde, ist davon auszugehen, dass das Verdecken kein Versehen war.7

Bei Rückfragen nehmen Sie gerne per Mail Kontakt mit uns auf.

(1) Allgemeine Berichte zu den Geschehnissen können vielen anderen Medien entnommen werden. Zum Selbstverständnis der Demobeobachtungsgruppe siehe http://recht-kritisch.de/index.php/demobeobachtung/. (2) Vgl. Bericht vom 02.05.2017. (3) Vgl. Bericht vom 02.05.2018. (4) https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/108770/3938788. (5) Vgl. Bericht vom 07.04.2018. (6) Vgl. Bericht vom 10.05.2016. (7) Vgl. Bericht vom 14.03.2018.

Foto von Nils Borgwardt.