Demobeobachtung: Bericht zu den Protesten gegen NPD-Demonstration am 08. Mai 2019 in Demmin

Pressemitteilung vom 09.05.2019

Am Mittwoch, den 08. Mai 2019, protestierten etwa tausend Menschen gegen eine jährlich stattfindende NPD-Demonstration in Demmin. Der Arbeitskreis Kritischer Jurist_innen Greifswald dokumentierte mit sechs Beobachter:innen, ob das Recht auf Versammlungsfreiheit und weitere Vorgaben des Versammlungsrechts gewahrt wurden. (1)

Polizei verhindert Zugang zu Mahnwachen

Um 18.55 Uhr verhinderten Polizeikräfte im Bereich des Barlach-Platzes, dass mehrere Gruppen von insgesamt über 20 Personen zur nahe gelegenen Mahnwache am Barlach-Park gelangten. Diese wurden auf einen Umweg über die Schillerstraße verwiesen, der jedoch ersichtlich nicht zum Ziel führte. Das lag daran, dass die Polizeikräfte in der ersten Reihe nichts von der Mahnwache wussten, wie sich kurz darauf heraus stellte. Ein Demobeobachtungsteam vernahm aber, dass die verantwortliche Polizeikraft in der zweiten Reihe durchaus Kenntnis hatte, jedoch "solche [jungen] Leute nicht dort haben" wollte. Gegen 21:50 Uhr wurde erneut einer größeren Anzahl Demonstrationsteilnehmer_innen der Zugang zur Mahnwache im Barlachpark durch eine Polizeikette verwehrt. In diesem Fall wurde das deutliche Einfordern der Versammlungsteilnehmer_innen des Zugangs sogar als aggressives Verhalten gewertet, auf das prompt mit Kamera- und übertriebenem Taschenlampeneinsatz reagiert wurde. Dies stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar, da sowohl die Anreise als auch der Zugang zu einer Versammlung vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst sind (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl. 2016, I Rn. 441). Es waren keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine Einschränkung dieses Rechts rechtfertigen. Im zweiten Fall handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff, weil der Naziaufmarsch bei Ankunft der Aufgehaltenen die Mahnwache bereits passiert hatte und der Versammlungszweck des Protests in Sicht- und Hörweite so vereitelt wurde.

Rechtswidriger Aufenthalt von Polizeikräften innerhalb angemeldeter Kundgebungen

Mehrmals begaben sich Polizeikräfte - insbesondere solche der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) - mitten in die Versammlungen des Gegenprotestes entlang der Naziroute. So positionierten sich BFE-Kräfte um 20.08 Uhr an der Mahnwache in der Treptower Straße BFE-Kräfte unmittelbar vor den Pavillon, von dem aus die Ansprachen und Beschallung der Demonstrierenden vorgenommen wurde. Ein ähnliches Vorgehen erfolgte etwa bei Mahnwachen beobachteten wir um 20.19 Uhr am Markt, um 21.40 Uhr erneut in der Treptower Straße und um 21.56 Uhr am Barlach-Park. Der Aufenthalt von Polizeikräften innerhalb des Versammlungsgeschehens stellt einen erheblichen Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer_innen dar. Diese, denn sie gewährleistet, dass die Willensbildung grundsätzlich staatsfrei erfolgen kann (BVerfGE 69, 315 (346)). Polizeikräfte können dem Geschehen von außen zusehen, eine Anwesenheit in der Versammlung bedeutet dagegen eine Einmischung in deren selbstbestimmten Ablauf. Sie ist für BFE, wie auch alle anderen Polizeibeamt_innen, bspw. solche in zivil, nur zulässig, wenn dies zur Verfolgung bereits begangener Straftaten erforderlich ist (Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Aufl. 2016, § 18 Rn. 16). Die Polizeikräfte wurden aber vielfach bereits in die Versammlung entsandt, noch ehe der Naziaufmarsch die jeweilige Stelle passierte. Weiterhin unternahmen sie keinerlei Maßnahmen, die den Anschein einer Strafverfolgung erweckten. Im Gegenteil, größtenteils verblieb es bei der bloßen Anwesenheit und Beobachtung des Geschehens. Eine solch präventive Entsendung stellt einer Verletzung der Versammlungsfreiheit dar und ist daher rechtswidrig.

Durchgängige Bildaufnahmen in vielen Variationen

Auffällig war der durchgehende Einsatz von Videokameras durch die Polizei. Nach §§ 19a, 12a VersammlG ist der Einsatz nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung zulässig. Nach der Rechtsprechung ist bereits für das Richten der Kameras auf die Demonstrierenden eine entsprechende Gefahrenlage erforderlich. Schließlich ist es für die Teilnehmer_innen der betroffenen Demonstration nicht nachvollziehbar, ob Videoaufnahmen getätigt werden oder nicht. Eine solche Beobachtung hat eine abschreckende Wirkung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und ist deshalb rechtfertigungsbedürftig. So wurde um 19:35 Uhr die Kamera eines Polizeiwagens für längere Zeit auf die friedliche Mahnwache am Platz der August-Bebel-Straße gerichtet. Zu diesem Zeitpunkt lagen allerdings keine Anhaltspunkte für etwaige Gefahren vor. Dazu kommt, dass der Demozug der Nazis die Mahnwache noch gar nicht passiert hatte. Eine ähnliche Situation fand bei der Mahnwache am Hafen statt. Hier wurden Teilnehmer_innen ab ca. 20.54 Uhr mindestens sieben Minuten ununterbrochen gefilmt, obwohl es keinen Anlass gab und es sich um eine friedliche Versammlung handelte. Zu kritisieren ist zudem, dass bereits mit dem Passieren der Mahnwachen durch die Nazis die Teilnehmer_innen regelmäßig durchgängig gefilmt wurden. Zwar kann es in konkreten Situationen gerechtfertigt sein, in denen Anhaltspunkte für eine entsprechende Gefahrenlage vorliegen. Allerdings erscheint es nicht gerechtfertigt, jede Versammlung unter Generalverdacht zu stellen. An vielen Stellen traten BFE-Kräfte mit Helmkameras auf (etwa 20.08 Uhr Treptower Straße, 20.19 Uhr am Markt, 20.59 Uhr am Bollwerk/Ecke Bauhofstraße). Dessen Einsatz unterliegt den gleichen Anforderungen wie das Filmen mit Handkameras. Auch hier müssen für eine Gefährdung der Sicherheit entsprechende Anhaltspunkte vorliegen. Bereits mit dem Aufsetzen des Helms ist die Kamera – je nach Blickrichtung – auf eine Vielzahl von Personen gerichtet. Für eine Gefährdung der Sicherheit lagen allerdings auch hier keine entsprechenden Anhaltspunkte vor.

Auch Social-Media-Bilder unterfallen dem Versammlungsgesetz

Wir haben bereits in unserem Bericht zu den Protesten in Demmin 2017 darauf hingewiesen, dass die Polizei das Versammlungsgesetz beachten muss, wenn sie Bilder von Versammlungen auf Twitter u.ä. veröffentlicht. Mittlerweile wurde dies vom VG Gelsenkirchen ausdrücklich bestätigt (Urt. v. 23.10.2018 -14 K 3543/18). Dennoch veröffentlichte die Polizei Bilder der Demonstration auf Twitter. Da hier offensichtlich keine Gefahrenlage bestand, sind diese Eingriffe in die Rechte der Demonstrierenden rechtswidrig.

Verdeckung der individuellen Kennzeichnung kein Zufall

Zum wiederholten Mal wurde festgestellt, dass mehrere Beamt_innen ihre individuelle Kennzeichnung – sei es mit Schlagstöcken, Kabelbindern oder sonstigen Einsatzmitteln – verdeckt haben. Da dies erstens sowohl in der medialen Öffentlichkeit als auch durch Versammlungsteilnehmer_innen zu genüge thematisiert wurde und zweitens zahlreiche Polizeikräfte bewiesen, dass die Einsatzmittel auch ohne Verdeckung der Kennzeichnung getragen werden können, lässt sich daraus schließen, dass die entsprechende Rechtsvorschrift von Teilen der Polizei bewusst missachtet wird.

Unnötige Eskalation am Ende der Versammlungen

Ab 22.04 Uhr erfolgten im Bereich der Mahnwache am Barlach-Park mehrere Polizeimaßnahmen, als der Naziaufmarsch bereits die letzte Kundgebung passiert hatte. Dabei soll ein Demonstrant verbal und durch zeigen des Mittelfingers eine Beleidigung gegenüber den Beamt_innen begangen haben. Es ist zunächst bemerkenswert, dass solch einem Delikt im Rahmen einer Versammlung überhaupt nachgegangen wird, wird es doch nur auf Strafantrag verfolgt und in der Praxis als meist ignoriert, wie etwa das berühmte Foto des AfD-Politikers Ralph Webers zeigt. Dass dazu Brandenburger BFE-Kräfte trotz schlechter Beleuchtungssituation massiv in die Versammlung eindrangen, bringt unnötiges Konfliktpotential mit sich und hält einer Verhältnismäßigkeitsprüfung kaum stand. Dass Danebenstehende danach daran gehindert wurden, die folgenden Polizeimaßnahmen zu filmen, verkennt den Grundsatz, dass Polizeieinsätze grundsätzlich gefilmt werden dürfen (BVerwG, Urteil vom 28.03.2012 - 6 C 12.11). Im Gegensatz verweigerten sie die Herausgabe eine Dienstnummer und das Zeigen derselben, die bei Brandenburger Polizeikräften auf deren Rücken angebracht ist. Im Einzelnen und in der Summe handelt es sich um ein unverhältnismäßiges und völlig unnötiges Vorgehen, das gerade mit Blick auf den bisherigen Verlauf des Abends nicht nachvollziehbar ist.

(1) Allgemeine Berichte zu den Geschehnissen können vielen anderen Medien entnommen werden. Zum Selbstverständnis der Demobeobachtungsgruppe siehe http://recht-kritisch.de/index.php/demobeobachtung/.

Bild via Endstation rechts.