Vom Analogen ins Digitale - Ein Erlebnisbericht von der re:publica 2017

In der vergangenen Woche fand in Berlin die diesjährige, elfte re:publica statt. Eines unserer Mitglieder hat, anlässlich des Diskurses um digitale Grundrechte, für einen Tag an der Konferenz teilgenommen. Welche Eindrücke er mitgenommen hat, erfahrt ihr hier in seinem Erlebnisbericht:

Ich sehe was, was du nicht siehst

(...und darüber weiß ich kaum mehr, als dass es jedenfalls nicht analog ist.)

Schon lange beschäftigt mich die Digitalisierung. Was ist sie und was bedeutet sie für uns Menschen? Um einer Antwort hierauf ein Stück weit näher zu kommen, habe ich einen Tag auf der re:publica 2017 verbracht. Die großen (und auch mittelgroßen) Antworten blieben aus. Trotzdem, das Event stellte sich für mich als so etwas wie einen feuchten Traum für Menschen heraus, die mit großer Neugierde aber zugleich kritisch die Digitalisierung mustern.

„Die re:publica ist eine der weltweit wichtigsten Konferenzen zu den Themen der digitalen Gesellschaft. Seit ihren Anfängen 2007 mit 700 BloggerInnen hat sie sich zu einer "Gesellschaftskonferenz" mit über 8.000 TeilnehmerInnen aus allen Sparten bei der Jubiläums-Ausgabe re:publica TEN entwickelt. Hier vermitteln die VertreterInnen der digitalen Gesellschaft Wissen und Handlungskompetenz und diskutieren die Weiterentwicklung der Wissensgesellschaft. Sie vernetzen sich mit einem heterogenen Mix aus AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, HackerInnen, UnternehmerInnen, NGOs, JournalistInnen, BloggerInnen, Social Media- und Marketing-ExpertInnen und vielen mehr. Dadurch entstehen Innovationen und Synergien zwischen Netzpolitik, digitalem Marketing, Netz-Technologie, der digitalen Gesellschaft und (Pop-)Kultur. Rund 46 Prozent der SpeakerInnen auf der re:publica TEN waren weiblich, kaum eine andere Veranstaltung mit vergleichbarer Ausrichtung kann eine ähnlich ausgewogene BesucherInnenstruktur vorweisen.“[1]

 

Digitale Grundrechte

Der mittlerweile textlich ziemlich konkrete „Vorschlag für eine Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union“, wurde im Jahr 2015 von der ZEIT-Stiftung mit einigen Autor_innen initiiert. Nach eigenen Angaben ist der Vorschlag mit dem Ziel entstanden, die bereits bestehenden Grundrechte zu stärken und zu konkretisieren. Andererseits solle hieraus ein Prozess entstehen, der in ein bindendes Grundrechte-Dokument mündet. Ob oder wie beides miteinander vereinbar ist, sucht der gesellschaftliche Prozess zu finden.

Als Jurastudent ist der Winkel, aus welchem ich mich bemühe, die Digitalisierung zu erfassen, natürlich deutlich von der rechtswissenschaftlichen Perspektive beeinflusst. Darum ist es wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass gerade die Diskussion um eine Charta digitaler Grundrechte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Hinzu kommt, dass die ZEIT-Stiftung mir die Anwesenheit bei eben diesem Teil der re:publica, erst erschwinglich gemacht hat: Die Teilnahme war gratis.

Der Tag bestand für mich aus drei verschiedenen Podiumsdiskussionen sowie einigen interessanten Pausen. Diese gaben mir Gelegenheit die ausgedehnten Vernetzungs- und Messeräume der re:publica zu erkunden.

Während der Programmbeiträge ist die Rolle von Rechtswissenschaftler_innen bei dem angestoßenen Prozess immer wieder mal, teils sogar energisch thematisiert worden. Obwohl man bei den Diskussionen um eine Charta der digitalen Grundrechte möglicherweise erwartet, jede Menge Rechtswissenschaftler_innen auf den Podien vorzufinden, ist dies hier nicht der Fall gewesen. Ich fand das gut, denn mich interessiert in Bezug auf die Digitalisierung der gesellschaftliche Prozess und es sind schließlich nicht bloß wir Jurist_innen, die die Gesellschaft verkörpern.

Einige der Jurist_innen, die sich zu Wort meldeten, äußerten in unterschiedlicher Weise Kritik an dem Vorschlag für die Charta. Nicht selten zogen sie damit die Animosität einiger weiterer Teilnehmer_innen auf sich. Jurist_innen, so nehme ich an, betrachtete man gerne als kühle Sachverwalter_innen, die man nach gefundenem Inhalt der Charta gerne mit den sprachlichen Feinheiten betraut. Notiz an uns selbst: Wir sollten öfter betonen, dass es sich bei dem nicht ganz leicht definierbarem Fach, welchem wir uns widmen, auch um eine Gesellschaftswissenschaft handelt.

Die von Jurist_innen geäußerte Kritik jedenfalls konnte ich nachvollziehen. Teilen konnte ich sie, soweit sie auf dem Hinweis fußte, dass die Unbeweglichkeit von Verfassungen, zumal im Grundrechtsteil, völlig zu Recht besteht; auch ich halte von den Normen, welche unsere Verfassung bilden, grundsätzlich sehr viel. Die besten von ihnen sind solche, die zeitlos sind. Deren Umsetzung in digitalen Belangen ist hingegen viel zu lückenhaft. Erst wenn bestehendes Verfassungsrecht ausreichend digital erprobt ist, d.h. konsequent unter Achtung gesellschaftlicher Entwicklungen angewandt wird, können eventuelle neue Verfassungsnormen gefunden werden. Dies bedeutet keineswegs, dass die vielen Menschen, die es bei dem Thema vor Erregung schüttelt, stillhalten müssen. Sondern im Gegenteil. Wir alle sind gefragt. Wir müssen uns in Auseinandersetzungen begeben, selbstbewusst unsere Meinungen kundtun und uns wenn nötig streiten. Aber vor allem müssen wir uns gegenseitig anhören und wertschätzen. Anders geht es nicht. Erst dann können wir uns gegenseitig Zugeständnisse machen. Das bringt uns voran und stellt gesellschaftliche Entwicklung dar.

 

Inspiration

Die Besprechung der Charta ist für mich im Nachhinein aber nur eine Nebensache. Was ich von der re:publica mitgenommen habe, ist Inspiration!

So viele Menschen, die darauf brennen ihre Meinung kundzutun. Dabei ist es alles andere als einfach, frei zu sagen, was man denkt. Denn man gibt ja hier nicht wieder, was mit viel Fleiß und Schweiß erlernt und bereits oft bestätigt wurde. Es sind stattdessen Dinge, die man glaubt beobachtet zu haben. Wer berichtet schon gerne von einem fliegenden Schwein, das man gesehen hat, nur um dann von buchstäblich versammelter Gesellschaft für verrückt erklärt zu werden. Andererseits, wenn man das Schwein nun einmal gesehen hat, warum dann nicht davon berichten? Immerhin werden wenigstens Teile der Ordnungsprinzipien, wie wir sie bislang kannten, von der Digitalisierung aufgelöst und vielleicht hat ja noch jemand das Schwein fliegen sehen. Und so konnte ich Menschen, die für mich grundsätzlich ein selbstbewusstes Auftreten hatten, dabei erleben, wie sie all ihren Mut zusammennehmen um sich mitzuteilen. Dabei zittern sie oder beben. Aus Verschüchterung? Oder Empörung? Jedenfalls muss es raus!

Dieser Mut hat mir selber leider gefehlt. Das ist aber nicht schlimm, denn es bedeutet bloß, dass ich ihn ein anderes Mal finde. Ich hoffe dann auf eine Umgebung, in der andere es mir gleichtun und mich ernst nehmen. Wir brauchen solche Orte. Ein solcher Ort können aber nicht nur die re:publica oder Festivals sein. Es braucht mehr gesellschaftliche Zusammenkünfte dieser Art, ohne dass Geld dabei eine Zugangsvoraussetzung ist.

Auch ohne mich selber aktiv an Diskussionen zu beteiligen, habe ich es sehr genossen durch die Hallen der Veranstaltung zu laufen. Sie waren gefüllt von Menschen die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Gefehlt haben wahrscheinlich nur die, die man vielleicht als „gesellschaftlich abgehängt“ bezeichnet. Es darf aber niemand fehlen, denn wollen wir herausfinden, was die Digitalisierung mit uns macht, können wir auf niemanden verzichten. Auch die vermeintlich Abgehängten hat unsere Gesellschaft hervorgebracht. Negieren wir dieses Element, werden wir nicht in der Lage sein, zu einer umfassenden Wahrnehmung zu gelangen.

Möglicherweise bietet die französische „Nuit debout“ eine Umgebung, in welcher die von der Digitalisierung hervorgerufenen gesellschaftlichen Prozesse gedeihen können. Ganz analog.

Der Austausch kann aber auch ohne großes Publikum stattfinden. Es braucht nur eine gute Gelegenheit hierfür. Viele von den Menschen, die bei der re:publica herumgelaufen sind, waren in einem ähnlichen Alter wie ich, einige auch nicht. Sie alle beschäftigt die Digitalisierung. Man schaut sich an. Und überall waren hellwache neugierige Augen. Immer fragend: „Siehst du das auch?“ „Kannst du es beschreiben?“ Nur zum Teil, aber vielleicht sehe ich was, was du nicht siehst und wenn wir es beide beschreiben, dann bekommen wir zusammen ein besseres Bild.

Während meiner mehrstündigen Fahrt nach Hause habe ich ein schönes Chaos in meinem Kopf. Es bricht über mich herein. Alles voll mit Fragen und immer, wenn ich glaube eine Antwort gefunden zu haben, entpuppt sich diese als weitere Frage. Anderen wird es bestimmt auch so gehen.

 

Fragen wollen gestellt werden, also los!


[1] https://re-publica.com/de/17/page/ueber-republica