Demobeobachtung: Bericht zu den Protesten gegen NPD-Demonstration am 01. Mai 2019 in Wismar

Pressemitteilung vom 03.05.2019

Am Mittwoch, den 01. Mai 2019, protestierten über tausend Menschen gegen eine NPD- Demonstration in der Hansestadt Wismar. Der Arbeitskreis Kritischer Jurist_innen Greifswald dokumentierte mit fünf Beobachter_innen, ob das Recht auf Versammlungsfreiheit und weitere Vorgaben des Versammlungsrechts gewahrt wurden. (1)

Unverhältnismäßige Maßnahmen nach Sitzblockade

Auf der Lübschen Straße kam es um ca. 13.25 Uhr infolge einer Sitzblockade zu verschiedenen Maßnahmen gegen die versammelten Personen. Diese reichten von einer Einkesselung über die Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Behandlung bis hin zur Durchsuchung. Als Begründung führte die Polizei einen Verstoß der Versammlungsteilnehmer_innen gegen § 21 VersammlG an. Dieser stellt das Vornehmen oder Androhen von Gewalttätigkeiten oder Verursachen grober Störungen in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern, zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, unter Strafe. Die Teilnehmer_innen der Sitzblockade hätten im objektiven Tatbestand also zumindest eine grobe Störung der angemeldeten NPD-Demonstration verursachen müssen, infolge dessen deren Durchführung auf dem Spiel gestanden hätte (2). Selbst eigenen Angaben der Polizei zufolge hatte die Sitzblockade jedoch „keine Auswirkungen auf den weiteren Demonstrationsverlauf“. Da es sich bei § 21 VersammlG um ein sog. Erfolgsdelikt handelt, ist allein der Versuch einer groben Störung nicht strafbar. Indem die Polizei ausdrücklich zum Zwecke der Strafverfolgung handelte, eine Straftat aber nicht vorlag, waren die gesetzlichen Voraussetzungen der Maßnahmen nicht erfüllt. Die Polizei verhielt sich daher rechtswidrig.

Die o.g. Maßnahmen kann die Polizei zwar auch zu präventiven Zwecken durchführen, die gesetzliche Grundlage kann jedoch nicht beliebig ausgetauscht werden (3). Entscheidet sich die Polizei einmal für das Einschreiten zum Zwecke der Strafverfolgung – wie hier geschehen – kann dieser nicht im Nachhinein noch zur Prävention abgeändert werden. Daher ist auch nicht zu prüfen, ob die durchgeführten Maßnahmen aus präventiven Gründen möglicherweise zulässig gewesen wären.

Als weitere Begründung für die repressiven Maßnahmen führte die Polizei den Verdacht an, dass Vermummungsgegenständen und "Schutzwaffen" mitsichgeführt wurden. Dabei verkannte sie jedoch, dass es sich dabei nicht um ein Gruppendelikt handelt, sondern dieses nur Einzelpersonen betreffen kann. Kollektivmaßnahmen, die sich unabhängig des einzelnen Verdachtes gegen die gesamte Gruppe richten, sind nicht zulässig. Daher stellte sich die Durchsuchung, ED-Behandlung usw. aller an der Sitzblockade Beteiligten als rechtswidrig dar.

Weiterhin wurde uns mehrfach berichtet, dass die betroffenen Personen während der Gewahrsamnahme nur unter Aufsicht bei geöffneter Tür die Toilette benutzen durften. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in die Intimsphäre dar, für den keine hinreichenden Gründe ersichtlich waren.

Letztlich wurde den Teilnehmer_innen der Sitzblockade nach Abschluss der repressiven Maßnahmen ein Platzverweis erteilt. Dieser wurde ihnen sowohl mündlich mitgeteilt, als auch schriftlich ausgehändigt. Im Sinne des Bestimmtheitsgebotes stellte sich hier problematisch dar, dass die jeweiligen Angaben divergierten. So sprach der Polizeibeamte von einem Aufenthaltsverbot für die gesamte Stadt Wismar bis zum Ende der NPD-Veranstaltung, auf dem Papier war jedoch von einem Platzverweis für Teile Wismars bis 24.00 Uhr des Veranstaltungstages die Rede. Auch inhaltlich sind die Vorgaben kritisch zu betrachten, ist sowohl ein Verbot für die gesamte Stadt, wie auch für den ganzen Tag unverhältnismäßig und somit unzulässig. Nicht zuletzt die in Wismar wohnenden Betroffenen hätten durch den Platzverweis nicht daran gehindert werden dürfen, zu ihrem Wohnort zurückzukehren.

Unzulässige Bildaufnahmen durch Polizisten in Zivil

Mehrmals beobachteten wir, dass Polizeibeamte in ziviler Kleidung Bildaufnahmen der Demonstrant_innen anfertigten. So fotografierte beispielsweise ein Zivilpolizist mit seiner Handykamera den Demonstrationszug des Gegenprotestes, als dieser auf dem Markt eintraf, ein weiterer die Einkesselung um 14.10 Uhr vor dem Cinestar, Schweriner Straße. Dies ist rechtlich unzulässig. Verdeckte Bildaufnahmen, also Aufnahmen, bei denen die fotografierenden Polizist_innen nicht als solche erkennbar sind, stellen einen vertieften Eingriff in die innere Versammlungsfreiheit dar und dürfen daher nur in wenigen Ausnahmefällen eingesetzt werden, die hier jedoch nicht vorlagen.

Kennzeichnungspflicht wie immer vernachlässigt

Mittlerweile ist es kein Novum mehr: Die Polizeikräfte aus Mecklenburg-Vorpommern müssen im Demonstrationsgeschehen mit individuellen Nummern gut ersichtlich gekennzeichnet sein. Zum wiederholten Mal ist uns jedoch auch in Wismar aufgefallen, dass viele Einsatzkräfte diese Regelung mithilfe von Schlagstöcken, Kabelbindern und sonstigen Einsatzmitteln, die geeignet sind, die Nummer zu verdecken, umgingen. Da dies schon mehrfach auch medial thematisiert wurde, ist davon auszugehen, dass das Verdecken mittlerweile kein Versehen mehr war. (4)

Bei Rückfragen nehmen Sie gerne per Mail Kontakt mit uns auf.

(1) Allgemeine Berichte zu den Geschehnissen können vielen anderen Medien entnommen werden. Zum Selbstverständnis der Demobeobachtungsgruppe siehe http://recht-kritisch.de/index.php/demobeobachtung/. (2) Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 17. Auflage 2016, § 21 Rn. 5. (3) Thiel, Polizeirecht, 3. Auflage 2016, § 4 Rn. 22. (4) Vgl. Bericht vom 14.03.2018.

Bild via Endstation rechts