Demobeobachtung: Bericht zu den Protesten gegen die AfD-Demonstration am 06. Dezember 2021 in Greifswald

Pressemitteilung vom 07. Dezember 2021

Am Montag, den 06. Dezember 2021, wurde der AfD Demonstration in Greifswald mit zahlreichen Gegendemonstrationen und Mahnwachen begegnet. Der Arbeitskreis Kritischer Jurist!innen Greifswald (AKJ) dokumentierte mit sechs Beobachter:innen, ob das Recht auf Versammlungsfreiheit und weitere Vorgaben des Versammlungsrechts gewahrt wurden.

Friedliche Protestaktionen der Gegendemonstrant:innen

Am Nachmittag und Abend bildeten sich an einigen Stellen in Greifswald friedliche Mahnwachen, Sitzblockaden und Gegenproteste. Die ersten Mahnwachen waren um 17:30 Uhr entlang der Demoroute angemeldet. Im Laufe des Abends vergrößerte sich der Protest zudem um zahlreiche Spontanversammlungen.

Zugang zu einzelnen Mahnwachen erschwert

Erneut ein Thema in Greifswald: der Zugang zu einzelnen Versammlungen. Sowohl die Anreise als auch der Zugang zu einer Versammlung sind vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst (Schneider, in: BECKOK Grundgesetz, 46. Edit., Stand: 15.02.2021, Art. 8 Rn. 21). Und obwohl das klar und unbestritten gilt, haben wir auch heute festgestellt, dass die Möglichkeit, zu den einzelnen Mahnwachen zu gelangen, erschwert oder gar unmöglich gemacht wurde.

So wurde schon um 17.20 Uhr sowie um 17.35 Uhr festgestellt, dass die direkte Zufahrt zu den angemeldeten Mahnwachen auf der Hans-Beimler-Straße komplett verhindert wurde, auch für Teile des Teams der Demobeobachtung. Die vorgetragene Begründung „aus Sicherheitsgründen“ ist als nicht annähernd hinreichend einzustufen. Das zeitnahe Aufsuchen der Mahnwachen entlang der Hans-Beimler-Straße wurde schlechthin dadurch verhindert, dass der Umweg über die Karl-Krull-Straße und den Karl-Liebknecht-Ring vorgegeben wurde.

Kennzeichnungspflicht wie immer vernachlässigt 2.0

Immer wieder ist es ein Thema: Polizeikräfte aus Mecklenburg-Vorpommern missachten ihre Kennzeichnungspflicht. Seit 2018 müssen sie im Demonstrationsgeschehen mit individuellen Nummern gut gekennzeichnet sein. Zum wiederholten Mal ist uns auch heute in Greifswald aufgefallen, dass viele Einsatzkräfte diese Regelung gezielt umgingen, indem sie mithilfe von Schlagstöcken, Helmen oder sonstigen Einsatzmitteln die Nummern verdeckten. Kältebedingt wurden Handschuhe und zur Einhaltung der Hygienevorschiften Masken mitgeführt. Mit beidem wurde in vielen Fällen erfolgreich die Dienstnummer versteckt. Die Problematik wurde bereits mehrfach in unseren Berichten und von Medien thematisiert, sodass davon ausgegangen werden kann, dass das Verdecken der Nummern kein Versehen mehr ist.

Einsatz von Videoüberwachung

Leider ein weiteres Dauerthema: Videoaufzeichnung von Versammlungsteilnehmenden und teils Unbeteiligten. Erneut sind den Beobachter:innen eine Vielzahl von fragwürdigen Videoaufzeichnungen um das Versammlungsgeschehen aufgefallen. Zu nennen sind hier Aufnahmen des Polizeikessels in der Hans-Beimler-Straße sowie Aufzeichnungen im Zuge einer Festsetzung auf die im unteren Teil des Berichts im Detail eingegangen wird.

Der problematische Polizeikessel in der Hans-Beimler-Straße

Auf dem Weg zum Südbahnhof kam es an der Hans-Beimler-Str. in Nähe der Heinrich-Hertz-Str. zu eine friedlichen Sitzblockade, zu der sich immer mehr Versammlungsteilnehmer:innen setzten. Diese Zusammenkunft stellt eine Versammlung im Sinne von Art. 8 GG dar und genießt daher grundrechtlichen Schutz. Um gegen eine solche Versammlung gefahrenabwehrrechtlich vorzugehen, ist die eindeutige und unmissverständlich geäußerte Auflösung durch die Polizei zwingende Voraussetzung. Vor der Blockade stand eine Kette von Hamburger Polizist:innen, die ohne jegliche Kommunikation begannen in Richtung Versammlung zu laufen, Fahrräder der Teilnehmer:innen zu entwenden sowie Personen rabiat zu schubsen und wegzudrängen. Im Zuge dessen wurden die Fahrräder einiger Teilnehmer:innen kurzzeitig entwendet ohne zuvor eine für eine etwaige „Minusmaßnahme“ notwendige Auflösung der Versammlung anzudrohen bzw. anzukündigen. Dabei wurde einer teilnehmenden Person der Zugang zu ihrer Jacke entzogen, die sich auf dem eingezogenen Fahrrad befand (bei etwa 0° Celsius (!) Außentemperatur). Die betroffene Person wies um 17.53 Uhr das Kommunikationsteam der Polizei sowie die Hamburger Polizeikette darauf hin, dass sie ihre Jacke wegen der kalten Temperaturen möchte. Die Jacke wurde nicht herausgegeben.

Der Umgang der Hamburger Polizeibeamt:innen mit der Sitzblockade und ihren Teilnehmer:innen kann nur als gewaltorientiert und versammlungsfeindlich bewertet werden. Die Versammlungsfeindlichkeit ergibt sich aus der weitgehend ausgebliebenden Kommunikation mit Spontanversammlungen vor und während ihrer Beseitigungen. Von Auflösungen kann nicht die Rede sein, denn dazu hätten sie erst als „Versammlungen“ behandelt werden müssen. Gewaltorientiertheit setzt aus unserem Verständnis das Überspringen von kommunikativen Maßnahmen zugunsten von physischen Auseinandersetzungen voraus.

Um 18.12 Uhr sagte die Polizei per Lautsprecher durch, dass die Fahrräder nun wieder zurückgegeben werden und die Versammlungsteilnehmer:innen dazu aufgefordert werden, auf die Gehwege der Hans-Beimler-Str. zu gehen. Von dort könnten sie den Gehweg zur nächsten angemeldeten Mahnwache auf der Hans-Beimler-Str. nutzen. Was zunächst als kooperatives Angebot der Polizei wirkte, entpuppte sich schnell als leeres Versprechen. Nachdem immer mehr Leute aufstanden, sich auf den Gehweg begaben und gehen wollten, wurde der Weg zur Mahnwache um 18.20 Uhr versperrt. Die Polizeibeamt:innen kesselten die Versammlung ein. Eine solche Kesselung ist als Freiheitsentziehung zu werten (vgl. dazu LG Hamburg, NVwZ 1987, 834; VG Berlin, NVwZ-RR 1990, 188; OVG Münster, NVwZ 2001, 1315).

Die Kesselung der gesamten Personenmenge (ca. 200 Personen) auf dem betroffenen Abschnitt der Hans-Beimler-Straße dürfte schon unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes unverhältnismäßig gewesen sein: die Gehwegbereiche in dem gekesselten Abschnitt waren für die Versammlungsteilnehmer:innen zu eng, sodass kaum bis gar keine Mindestabstände eingehalten werden konnten.

„Recht auf Toilettengang verwirkt“

In der Zwischenzeit erklärte ein Polizeibeamter einer eingekesselten Person, sie habe ihr Recht auf einen Toilettengang verwirkt. Das erscheint hochproblematisch, da die Polizei scheinbar von einer Verwirkung elementarer Bedürfnisse und Rechte ausgeht und wirft die Frage nach willkürlicher Entscheidung auf.

Die Gesamtsituation, vorwiegend die Außentemperatur von mittlerweile 0,9° Celsius, darf bei der Bewertung der Einzelfälle innerhalb der Maßnahme nicht unbeachtet bleiben. Unter diesen Umständen erscheint die freiheitsentziehende Maßnahme nicht verhältnismäßig. Nicht nur, weil der Gang zur Toilette untersagt war, sondern auch eine unbegleitete minderjährige Person sowie eine Mutter mit Kind betroffen waren. Die Drei konnten nach langwieriger Diskussion den Kessel um 19.00 Uhr verlassen, während dem Rest der Betroffenen trotz Nachfrage weder der Zweck der Maßnahme noch der betreffende Einsatzleiter mitgeteilt wurde. Das zuvor durchaus entgegenkommende Kommunikationsteam war zwar vor Ort, konnte aber nicht zur Konfliktbewältigung beigetragen.

Weiterhin ist in diesem Zusammenhang ein Vorfall nennenswert, der das Desinteresse der Polizei an Konfliktschlichtung erkennen lässt. Über einen längeren Zeitraum hielt sich eine vermutlich AfD-nahe Person, erkennbar am Versammlungsthema der AfD durch die fehlende Maske, im Zwischenbereich der Versammlung auf (zwischen den Reihen der Polizei und der Demonstration). Diese Person wurde, auch nachdem die Gegendemonstrant:innen diese als Gefahr ausgemacht hatten, lediglich zunächst auf die Maskenpflicht hingewiesen. Teilnehmende der Gegendemonstration wurden diesem Bereich stets schneller verwiesen.

Als um etwa 18:45 einzelne Personen aus dem Kessel über das Gelände der anliegenden Berufsschule ausgebrochen sind, wurde eine Person vor oder während der Verfolgung laut Berichten von den nachlaufenden Polizisten als „Pussy“ bezeichnet. Diese kehrte um, um Strafanzeige gegen die Quelle der Beleidigung zu stellen. Unklar ist, ob eine Strafanzeige seitens der Polizei aufgenommen wurde.

Die gute alte „Verhinderungsblockade“ ist zurück

Währenddessen wurde ab 18.51 Uhr sowohl nach dem Einsatzleiter, als auch nach dem Zweck bzw. der Rechtsgrundlage der Maßnahme gefragt. Beide Fragen der Eingekesselten blieben unbeantwortet. Nach einiger Zeit, in welcher die eingekesselten Personen seitens der Polizei mit Verweisen auf noch folgende Anweisungen von anderer Stelle zu vertrösten versucht wurden, gab ein Polizeibeamter an, die Begründung für diese Maßnahme sei die Gefahrenprognose, es handle sich bei dieser Versammlung um eine Verhinderungsblockade. Diese Argumentation gab es schon lange nicht mehr. „Eine reine Verhinderungsblockade ist ausschließlich darauf gerichtet, eine andere Versammlung zu stören. Verfolgt aber eine Sitzblockade gleichzeitig ein Ziel, das auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist, so unterfällt sie dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit“ (vgl., https://freiheitsrechte.org/sitzblockade-freiburg/). Die Blockade war zwar auch darauf gerichtet, den Demonstrationsverlauf der AfD zu erschweren, jedoch darf ihr eigentliches Ziel, nämlich selbst die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung und Äußerung von Kritik – hier: gegen „Faschismus, Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art“ – nicht außer Acht gelassen werden. Im Übrigen: Eine Klassifikation der Versammlung als Verhinderungsblockade macht die Auflösung dieser zudem nicht entbehrlich, um gegen sie vorzugehen. Eine etwaige Auflösung fand aber nicht statt. Mit Blick darauf und die Tatsache, dass eine Freiheitsentziehung einen gewichtigen Grundrechtseingriff darstellt, erscheint das polizeiliche Vorgehen als unrechtmäßig.

Friedliche Sitzblockade

Um 19.46 bildete sich eine friedliche Sitzblockade auf der Wolgaster Str. Obwohl keine Versammlungsleitung gefunden wurde, funktionierte die Kommunikation mit den Polizeibeamt:innen vor Ort. Die Versammlung löste sich nach einiger Zeit von selbst auf. Dabei verlief alles entspannt. Zu kritisieren ist allein das Verhalten einer Polizeibeamtin, die an der Seite der Blockade stand und nicht zufrieden mit der Spontanversammlung schien. Sie lies trotz der Enge mehrere Autos direkt an der Sitzblockade vorbei. Das führte dazu, dass ein:e außen sitzende:r Versammlungsteilnehmer:in bei jeder Autovorbeifahrt ihre Hände vom Boden nehmen musste, damit diese nicht überrollt wurden. Die Aufgabe der Polizei ist es, die Versammlung vor Ort zu schützen und mit zu ermöglichen. Mit der Weiterleitung der Autos wurde ein etwaiger Schutz weder durchgesetzt noch gewährt.

Bildbeschreibung Situation an der Europakreuzung

Eskalation auf der Kreuzung Anklamer Str./Brinkstr.

Um 19.53 Uhr bildete sich eine Sitzblockade auf der Anklamer Straße kurz vor der Kreuzung Rudolf-Breitscheid-Str./Brinkstr. von ca. zehn Personen. Auch diese Blockade fiel zunächst unter den Schutz der Versammlungsfreiheit als eine Spontanversammlung nach Art. 8 GG (Erklärungen bereits oben). Schnell entschied sich die Polizei allerdings dafür, die Versammlung zu räumen. Zunächst griffen die Beamten in die linke Seite in Richtung Rudolf-Breitscheidstraße ein. Ohne eine Auflösung der Versammlung – die es hätte geben müssen, um überhaupt rechtmäßig aufzulösen – wurden einzelne Versammlungsteilnehmer:innen an den Armen gepackt, angeschrien und rabiat weggeschubst. Ein:e Blockadenteilnehmer:in wurde gegen andere auf den Gehweg stehende Versammlungsteilnehmer:innen geschubst. Andere Personen wurden hochgehoben und auf den Gehweg geworfen. Dieses Vorgehen der Polizei ist als unverhältnismäßig einzustufen.

Neben der Sitzblockade spielten sich weitere Eskalationen seitens der Polizei ab. So wurden Versammlungsteilnehmer:innen, die friedlich auf dem Gehweg standen und das Geschehen der Sitzblockade beobachteten, immer wieder von einem Beamten der Polizei M-V drohend weggeschubst. Ein weiterer Beamter trat hinzu und begann die Gruppe anlasslos zu filmen. Solche Aufnahmen sind nach §§ 12a, 19a VersG nur zulässig, wenn die Aufnahmen zur Abwehr von Gefahren oder zur Verfolgung von Straftaten erforderlich sind. Dabei müsste die Versammlung unfriedlich oder Schutzgüter betroffen sein. Diese Gruppe verhielt sich aber ruhig. Sie begab sich weder auf die Anklamer Str. (geänderte Demoroute der AfD) in Richtung der Sitzblockade noch zeigte sie unfriedliches Verhalten. Damit ist auch dieses Filmen als unrechtmäßig einzustufen. Als die Beamten schließlich von einer Person darauf hingewiesen wurden, dass ihre Maßnahmen – das Filmen und Schubsen – rechtswidrig und nicht verhältnismäßig seien und das von einer Person der Demobeobachtung dokumentiert werde, antwortete der Beamte: „Mir doch scheiß egal, was die hier macht.“ Schade. Uns ist es jedenfalls nicht egal, was die Polizei auf Versammlungen so macht.

Eine Odyssee von rechtswidrigen Polizeimaßnahmen

Um 19.56 Uhr wurde eine Person auf der anliegenden Parkfläche an der Rudolf-Breitscheid-Str./Ecke Anklamer Str. von zwei Polizeibeamten zu Boden gedrückt und mit Handschellen fixiert. Grund für die Festsetzung war laut Polizei die Teilnahme an der unangemeldeten Sitzblockade um 19.53 Uhr (siehe oben) und das Wieder Hinsetzen zu dieser, nachdem die Beamten die Person von der Blockade geräumt hatten. Wir erinnern uns: die Sitzblockade wurde nicht wirksam aufgelöst.

In der Zwischenzeit begann ein Beamter neben der umzäunten Parkfläche die begonnene Maßnahme zu filmen. Dabei schwenkte er seine Kamera immer wieder auf die Versammlungsteilnehmer:innen, die sich um den Parkplatz sammelten, um die Maßnahme zu beobachten. Um 20.02 Uhr wurde der Beamte schließlich darauf angesprochen und gefragt, warum gefilmt werde. Dieser erwiderte daraufhin zunächst nichts. Später fügte er hinzu, dass Straftatbestände seitens der um den Parkplatz stehenden Personen vorlägen. Das erweckte den Eindruck, die Polizei würde ihre Kamera vorbehaltlich auf Personen schwenken, weil – wie hier von der Gruppe – ja möglicherweise Straftaten ausgehen könnten. Zu diesem Zeitpunkt, lagen aber keine Anhaltspunkte für etwaige Gefahren der herumstehenden Personen vor.

Die Festsetzung der Blockadenteilnehmerin dauerte bereits eine Viertelstunde an und sie lag weiterhin fixiert am Boden – trotz der Temperatur von 1 Grad Celsius. Dazu kommt, dass die zwei Polizeibeamten mindestens 20 Minuten auf ihr saßen, obwohl kein Widerstand mehr von ihr ausging. Auch zu den folgenden Durchsuchungen richteten die Beamten sie nicht auf: Zunächst wurden die Sachen der Person durch die zwei Beamten gesichtet. Im zweiten Schritt begannen sie die Person der Blockadeteilnehmerin zu durchsuchen. Bereits vor Beginn dieser Maßnahme, wies sie darauf hin und forderte, dass sie nur eine Person ihres Geschlechts durchsuchen könne und solle. Dies schien die Beamten nicht weiter zu interessieren und sie tasteten die Person an Stellen wie dem Intimbereich ab. § 53 Abs. 5 Satz 1 SOG M-V regelt, dass eine Personendurchsuchung nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärztinnen oder Ärzten durchgeführt werden darf. Damit ist auch diese Maßnahme der Polizei rechtswidrig.

Einige Minuten später kamen Beamt:innen der Kriminalpolizei zum Geschehen, die nun nochmals die Sachen der Blockadeteilnehmerin ausbreiteten und sichteten. Sie veranlassten auch eine nochmalige Personendurchsuchung – wegen der vorherigen Aufforderung der Blockade-teilnehmerin, eine Beamtin gleichen Geschlechts könne nur durchsuchen, war nun auch eine Kriminalpolizistin vor Ort. Die Durchsuchung der Person nahmen allerdings die Kriminalpolizisten statt der Polizistin vor. Damit lag erneut ein Verstoß gegen § 53 Abs. 5 Satz 1 SOG M-V vor.

Die Fixierung der Blockadeteilnehmerin dauerte bereits über 30 Minuten an. Diese wies die Beamten nun vermehrt auf starke Schmerzen an den Händen wegen der Handschellen hin, worauf die zwei Beamten jedoch nicht eingingen. Daraufhin benachrichtigten die um den Parkplatz stehenden Personen einen Krankenwagen. Kurz vor dem Eintreffen der Rettungssanitäter wurden die Handschellen der Person entfernt. Während dieser Situation wurden die durchsuchten Sachen der Blockadeteilnehmerin zunächst beschlagnahmt und zum Polizeiwagen gebracht.

Bildbeschreibung

Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien

Um 20.45 Uhr traf der Anwalt der Blockadeteilnehmerin ein, jedoch wurde ihm zunächst der Zugang zu seiner Mandantin verwehrt. Nach § 137 der Strafprozessordnung (StPO) darf sich ein:e Beschuldigte:r in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Das betrifft auch den zeitlichen Rahmen innerhalb einer Maßnahme. Das Verhalten der Beamt:innen war auch hier nicht zulässig. Als er schließlich zu seiner Mandantin durfte, um mit ihr die Situation zu besprechen, baten beide die Kriminalbeamten, ein Stück zur Seite zu gehen, da es sich nun um ein Anwaltsgespräch handele. Auch dies wurde verweigert und ein Kriminalbeamter entfernte sich nicht. Die Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen Rechtsanwält:in und Mandant:in ist jedoch eines der Kernstücke der wirksamen Vertretung von Mandant:ininteressen. Das vertrauliche Gespräch wird als wesentliche Garantie des Rechts auf Verteidigung von Art. 6 EMRK geschützt (NJW 2007, 3409; Zugriff über beck-online.de). Auch dieses Verhalten ist daher rechtswidrig.

Um 20.53 Uhr wurde die Blockadeteilnehmerin erkennungsdienstlich behandelt (§ 31 SOG M-V) und ein Alkoholtest durchgeführt. Aufgrund der durchgeführten Maßnahmen Identitätsfeststellung und ED-Behandlung erwirkte der Anwalt die Beendigung und die Freilassung seiner Mandantin. Die Polizei teilte ihr mit, dass sie ihre beschlagnahmten Sachen nun wieder am Einsatzwagen abholen könne. Diese erwiderte, dass sie das nicht wolle. Sie wolle die Sachen nicht in der dunklen Ecke des Parkplatzes am Polizeiwagen abholen, sondern wolle ihre Gegenstände wieder an Ort und Stelle der Festsetzung zurückbekommen. Es folgten lange Diskussionen zwischen der Kriminalpolizei und der Blockadeteilnehmerin sowie Äußerungen der Kriminalbeamt:innen wie: „Du machst das doch nur wegen der Presse“, oder: „So benimmt sich kein erwachsener Mann.“ Auch das wiederholte Hinweisen der Person, sie wolle nicht „geduzt“ werden, ignorierten die Kriminalbeamt:innen.

Statt die Sachen direkt der Person herauszugeben, beschlagnahmte die Polizei diese und fuhr sie weg. Der Grund für die Beschlagnahme: die Blockadeteilnehmerin sei unkooperativ. Halten wir fest: Die Polizei muss die sichergestellten Sachen herausgeben, wenn der Grund für die Sicherstellung weggefallen ist (Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl., § 18, Rn. 11). Gründe können können z.B. eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sein (§ 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SOG M-V) oder wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Sachen zur Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verwendet werden sollen (§ 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SOG M-V). Der mutmaßliche Grund für die Durchsuchung und Sicherstellung der Sachen war die potentielle Teilnahme an der Sitzblockade um 19.57 Uhr und das Hinsetzen zu dieser. Die Blockadesituation war aber bereits lange beendet und auch der Demonstrationszug der AfD, gegen die protestiert wurde, vorbeigelaufen. Damit ist der Grund für die Sicherstellung weggefallen. Nun wurde der Blockadeteilnehmerin gesagt, sie könne sich ihre Sachen am Polizeiwagen in der Ecke am Parkplatz abholen, was diese ablehnte. Die Beamt:innen beschlagnahmten daraufhin die Sachen – inklusive Personalausweis – und nahmen diese mit. Der Grund für die vorherige Sicherstellung war aber schon weggefallen. Insofern erscheint zweifelhaft, auf welcher Grundlage die Beschlagnahme noch erfolgen sollte. Dazu kommt, dass Beschlagnahme des Personalausweises klar rechtswidrig ist, da der Betroffenen somit jede Möglichkeit genommen wird, ihre Identität glaubhaft darzulegen. Bereits beim Abholen des Personalausweises und ihren Sachen dürfte dies Probleme machen – schließlich fehlt ihr das entscheidende Dokument zur Darlegung, dass das ihre Sachen sind. Auch die derzeitige Pandemielage ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Personalausweis nun vermehrt benötigt wird, um Zugang zu Geschäften oder anderen Einrichtungen zu bekommen. Diese Möglichkeit fällt damit völlig weg.

Machtdemonstration seitens der Polizei

Kaum hatte sich der Anwalt mit Absprache der Mandantin vom Festsetzungsort entfernt, zückte der Beamte direkt die Kamera und filmte die Unbeteiligten am Zaun sowie die Blockadeteilnehmerin erneut. Zu diesem Zeitpunkt war absolut kein Grund ersichtlich, die Unbeteiligten oder die Blockadeteilnehmerin zu filmen: die Anwesenden verhielten sich ruhig und die Maßnahme der Polizei war beendet. Die zwei Beamten erklärten der Blockadeteilnehmerin, sie müsse über den Parkplatz an den Polizeiwägen vorbei und sie dürfe sich nicht über den Zaun des Parkplatzes entfernen. Daraufhin erwiderte sie, sie wolle den Weg zurücknehmen, über den sie auch hierher gebracht wurde, über den Zaun. Dabei blieb sie ruhig. Ein Beamter rief ihr dann zu: „Wenn du über den Zaun steigst, bekommst du ‘ne neue Anzeige.

Während der gesamten Situation – der Festsetzung der Blockadenteilnehmerin – verhielten sich die Beamten vor Ort weiterhin weder kommunikativ noch deeskalierend. Immer wieder wurden Drohungen gegen die herumstehenden Personen ausgesprochen und diese zurückgeschubst. So auch ein Team der Demobeobachtung.

Um 20.06 Uhr wurden die Personalien einer Person gefordert. Die Beamt:innen wollten eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung einleiten und aufgrunddessen die Identität der Person nach § 29 SOG M-V feststellen. Diese befand sich in der Gruppe um den Zaun, die das Festhalten der Blockadeteilnehmerin beobachtete. Nach kurzer Diskussion mit den Beamt:innen gab die Person ihren Personalausweis heraus und ermöglichte die Kontrolle und die gewollte Identitätsfeststellung der Polizei. Man könnte meinen, die Maßnahme sei damit beendet … Fünf Minuten später entschieden sich die Beamt:innen um 20.11 Uhr nun dazu, die Person mitzunehmen und festzusetzen, weil sie unkooperativ sei. Obwohl die Personalien schon festgestellt wurden, wurde die betroffene Person nun bis 21.10 auf dem Parkplatz in Nähe der zwei Polizeiwägen festgehalten und durfte sich nicht vom Ort entfernen. Auch dafür war kein Grund ersichtlich. Ohne Zweifel handelte die Polizei hier unverhältnismäßig. Die Maßnahme zur Identitätsfeststellung konnte erfolgen und das Ziel der Maßnahme wurde erreicht. Die Festsetzung und die genannte Begründung lassen vielmehr den Eindruck polizeilicher Willkür entstehen.

Auch eine andere Person wurde wegen des Vorwurfs eines Bananenwurfs ca. 1½ h von der Polizei festgesetzt, obwohl auch dort eine Personalienaufnahme bereits vorgenommen wurde und der Grund für die Festsetzung daher nicht klar war.

Und zum Schluss: die „eindrücklichsten“ Zitate des Tages seitens der Polizei

Wir fanden den Punkt sehr wichtig. Am heutigen Tage haben einige Beamten ihre Haltung gegenüber den Gegendemonstrant:innen der AfD klargemacht. Die Aussagen stehen für sich.

"Ihr seid so lächerlich.", "Ihr habt so ein trauriges Leben, Leute.", "Such' dir doch 'ne Freundin und mach' mal Urlaub.", "Oh man, ihr seid alle so sweety und so eine Sweetys. Hihihi.", "Armselig.", Die Polizei wird seitens einer Versammlungsteilnehmerin auf etwas hingewiesen. Dieser imitiert sie in ironischer Weise und sagt dann: „Lern‘ erstmal deutsch.“


Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung von Philipp Schulz.